Die Anderen: "Sewodnja", "Iswestija", "Nesawissimaja Gaseta" und "Kommersant"
■ Pressestimmen aus Rußland zu den Nato-Luftangriffen gegen Serbien
Pressestimmen aus Rußland zu den Nato-Luftangriffen gegen Serbien:
„Sewodnja“ kommentiert die Reaktionen nationalistischer Russen: Daß die Bombardierung Jugoslawiens antiamerikanische Aktionen provoziert, daran zweifelt niemand. Die Idee, die serbischen Brüder nun zu unterstützen, gefällt dem Volk sehr. „Fahren wir hin und helfen wir!“ Auf die Frage an einen Freiwilligen, was er damit erreichen will, folgte die Antwort: „Wer braucht uns denn hier schon?“ Die Liebe zu den Serben hat dem Leben vieler Russen wieder einen gewissen Sinn gegeben. Der Nato-Schlag gegen Jugoslawien als Ersatz für die nationale Idee. Aber von einem Ersatz kann man nicht lange leben.
Die Tageszeitung „Iswestija“, die ebenfalls in Moskau erscheint, macht eine Kosovo-Psychose in der russischen Hauptstadt aus: Wenn Jelzin die Gefahr eines großen Krieges andeutet, so muß darauf hingewiesen werden, daß es außerhalb Europas neben Rußland keinen anderen Staat gibt, der sich als Verbündeter Serbiens bezeichnet. Die Schlußfolgerung ist klar. Das russische Staatsoberhaupt schließt sogar einen bewaffneten Zusammenstoß zwischen Rußland und der Nato nicht völlig aus. Die Reaktion russischer Politiker auf die Ereignisse um das Kosovo grenzt an eine Psychose. Um sich davon zu überzeugen, genügen die zahllosen Interviews der Kommunisten und Nationalisten.
„Nesawissimaja Gaseta“ sieht bereits den Untergang Europas: Am Tag und zu der Stunde, da die Streitkräfte der USA und der Nato Raketenschläge gegen Jugoslawien führen, tritt die Welt in eine neue historische Epoche ein: die Epoche des Zusammenbruchs des amerikanischen Weltimperiums und die Epoche des endgültigen Untergangs Europas. Höchstwahrscheinlich wird Europa als erstes zusammenbrechen, und der ohnehin schon einbeinige amerikanische Koloß fällt unter dem eigenen Gewicht und den Schlägen äußerer Kräfte auseinander. Bis zu diesem Tag konnten die USA in der Nachkriegsgeschichte sich stets mehr Verbündete als Feinde schaffen. Jetzt hat der Prozeß in die Gegenrichtung eingesetzt.
Die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ aus Moskau sieht die Handlungsmöglichkeiten Rußlands eingeschränkt, da Wodka und Diamanten allein nicht gegen Nato-Bomben ausreichten: Es sieht so aus, als ob die Regierung Primakow nur noch auf Einkünfte aus dem Wodka- und Diamantenverkauf rechnen kann, wenn man mal von der Notenpresse absieht. Wenn die Verteidigung Jugoslawiens gegen die Bombardierungen der Nato-Luftflotte die Grenze lediglich lautstarker Erklärungen überschreiten soll, müßten schon die inneren Reserven Rußlands mobilisiert werden. Nur so könnte das Land unter den Bedingungen der Zahlungsunfähigkeit und des Wegfalls der Importe überleben.
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