: "Rasende Weißwurst, das finde ich ganz lustig"
■ Rodel-Olympiasieger Georg Hackl über Nagano, seine Probleme mit seinem öffentlichen Bild als Klischee-Bayer, die Wildecker Herzbuben "und diese ganze Kacke" - und jenen Punkt, an dem der Spaß
Herr Hackl, warum möchten Sie in der taz kein Porträt von sich lesen – sondern lieber ein Interview?
Georg Hackl: Es ist ein Unterschied, wenn einer schreibt: Der Hackl ist doof, eine Weißwurst und ein Arschloch – oder ob der Hackl von sich selber sagt, er sei ein Arschloch.
Das klingt, als seien Sie nicht einverstanden mit dem öffentlichen Entwurf von Ihnen.
Genau. Ich sehe mein öffentliches Bild so ein bisserl übertrieben als Klischee-Bayer. Das wurde irgendwann am Anfang geprägt. Da ist man ja noch jung und dumm und gibt ehrliche Antworten.
Und heute lügen Sie?
Das nicht, aber man wird gescheiter. Ich hätte aus heutiger Sicht das mit dem Brauchtum unter den Tisch fallen lassen.
Was ist mit dem Brauchtum?
Ich war halt mal im Trachtenverein Mitglied oder überhaupt in allen Vereinen. Was bei uns in der Heimat Traditionspflege ist, da bin ich halt dabei – mittlerweile als passives Mitglied. Weil ich einfach die Zeit nicht habe.
Es steht geschrieben, Sie seien „passionierter Stubenmusiker“.
Ja, sehen Sie. Das ist total übertrieben. So komme ich in Verlegenheiten. Vor einem halben Jahr ruft mich die Carolin Reiber an, ob ich in ihrer Sendung Hackbrett spielen würde. Hackbrett!
Was ist Hackbrett? Eine Art Zither?
Nein, nein. Hackbrett ist ein Saiteninstrument. Aber die Saiten werden angeschlagen. Bei der Zither werden sie gezupft.
Und? Haben Sie gespielt?
Natürlich nicht. Ich kann überhaupt nicht Hackbrett spielen.
Sondern?
In Bild stand, daß ich Ziehharmonika spiele. Das kann ich auch nicht. Trompete kann ich auch nicht. Das einzige, was ich kann, ist ein bisserl Flöte spielen. So zwei, drei Lieder. Das hat ein Fernsehmoderator bei meiner Mutter hinterfragt. Und die Mutti erzählt natürlich alles ... na, mittlerweile auch nicht mehr.
Sie könnten das Klischee kühl kalkulierend auch selbst geprägt haben. Da ist eine Marktlücke, also mache ich euch den...
Den Berufskasper? Kein Gedanke daran. Man ist doch jung und will nur seinen Sport gescheit machen. Dann kommen die ersten Erfolge. Dann kommt die Boulevardpresse. Und man gibt immer seine ehrlichen Antworten. Dann wird das aufbereitet und ausgeschmückt.
Wenn Sie im Fernsehen augenzwinkernd als „Hacklschorsch“ verkauft werden, hört man von Ihnen nie: Moment, ich bin anders.
Da kannst du nichts machen. Man macht das halt mit. Man stellt sich hin. Aber ich werde das nicht forcieren und sagen, ich spiele Hackbrett und renn' da mit dem Rasierpinsel auf dem Hut herum.
Rasierpinsel?
Das ist ja in Wirklichkeit ein Gamsbart, ein ganz wertvolles Stück. Aber ich kann auch im Studio nicht ständig das Dementieren anfangen. Da schwimmt man halt auf dieser vorgegebenen Welle ein bißchen mit.
Es waren aber doch eindeutig Sie, der nach dem Olympia-Silber von Calgary 1988 im Fernsehen Schuhplattler getanzt hat?
Ich habe damals den Fehler gemacht, mich im „Musikantenstadl“ darzustellen. Weil der „Musikantenstadl“ eine Sache ist, von der sich das Brauchtum sehr weit distanziert. Das ist...
Volkstümelnd?
Genau. Die Wildecker Herzbuben und diese ganze Kacke – da muß ich mich sehr distanzieren. Nordlichter glauben, daß das Bayern sei, aber das hat damit überhaupt nichts zu tun. Da wäre schlimm, wenn man mich zu denen zählen würde.
Welche Musik hören Sie?
Ich bin durchaus allen Musikrichtungen gegenüber aufgeschlossen – wenn es nicht Techno ist. Ich höre Rock, Pop, Country – Garth Brooks zum Beispiel. Aber auch Schlager. Das gefällt, das versuche ich nicht in eine Schublade reinzubringen. Die echte Volksmusik gefällt – und das Volkstümelnde gefällt nicht.
Wie also würden Sie sich sehen wollen? Als Weltmann?
Das wär' doch auch wieder vermessen, oder? Ich bin schon stolz auf meine Heimat. Aber als Kasperl möcht' ich auch nicht dastehen. Im Vordergrund steht der Sportler. Das ist die Sache, mit der ich mich 24 Stunden am Tag auseinandersetze.
Das soll auch so bleiben?
Ja. Der Trainerberuf ist mein Ziel. Ich setze mich seit 20 Jahren mit dieser Sportart auseinander und bin, glaube ich, nicht der Schlechteste. Das wäre ja schade, wenn man die Erfahrung nicht weitergeben würde.
Warum machen Sie das eigentlich seit 20 Jahren?
Aha, die Sinnfrage. Die stelle ich mir auch oft. Man fühlt sich doch irgendwie bestätigt, wenn man etwas kann. Das ist doch schön. Das gibt einem Menschen doch was. Das Schlimmste ist, wenn ein Mensch keine Ziele hat, oder? Egal, welcher Art.
Können Sie diese Philosophie präzisieren?
Es ist wichtig, daß man sich neue Horizonte eröffnet, neue Ziele stellt. Da kann man sich leicht die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Wenn man sich einer Sache verschreibt im Leben – und versucht, die gut zu machen, das ist doch schon mal sinnvoll.
Gibt's andere Ziele, für die Sie sich ähnlich engagieren würden?
Schwierige Frage. Natürlich macht man sich auch Gedanken über unsere globalen Probleme. Was aber sind diese?
Daß die Welt schlecht ist – und keiner sie verbessert?
Im Grunde ist doch alles Evolution. Momentan ist beim Menschen, wenn man es ganz knallhart sieht, die Evolution rückläufig.
Wie bitte?
Früher wurden Menschen berühmt, weil sie Hervorragendes leisteten, heute viele, weil sie gemacht worden sind.
Aha. Und die einzige Rettung heißt Rodeln! Da gibt es eine unbestechliche Uhr.
Und jetzt hätten Sie's wohl gern, daß ich sage, daß so gesehen der Sport eine sehr ehrliche Sache ist. Und daß mich das am Sport fasziniert.
Die Ehrlichkeit hat sich eben bei der Schwimm-WM wieder eindrucksvoll bestätigt.
Tschuldigung. Also ganz im Ernst: Da muß ich mich korrigieren. Vielleicht sehe ich das mit einer eigenen Brille, weil bei uns diese Sachen weniger relevant sind. Ich würde nie die Hand ins Feuer legen und sagen: Einer meiner Gegner nimmt kein Doping. Für niemand auf der Welt würde ich die Hand ins Feuer legen.
Und für sich?
Für mich klar. Das weiß ich ja. Aber für niemand anderes.
Warum braucht die Gesellschaft saubere Sporthelden? Warum braucht sie Hackl?
Ja, fragen Sie doch rum.
Ich frage Sie.
Es gibt einfach Leute, die interessieren sich sehr intensiv für Sport. Es kann halt nicht jeder an die Spitze kommen. Die identifizieren sich dann halt.
Herr Hackl, obwohl Sie zweimaliger Olympiasieger sind, geben Sie sich immer zurückhaltend, auch jetzt vor Nagano wieder.
Das haben Sie gut beobachtet. Ich finde dieses ganze Gerede vor Wettkämpfen blöd. Da geht es um Potentiale. Der eine hat mehr Potential, der andere weniger. Zum Schluß ist aber nur interessant: Wer war der Schnellste? Egal, wie. Zum Schluß kriegst du nichts dafür, wenn du zehnter bist, aber das beste Potential hattest. Du hast es
nicht getan! Das ist wie in der Nike-Werbung: Just do it!
Sie könnten sagen: Ich bin der Hackl. Mir kann keiner.
Das wäre überheblich. Und dann wäre man ganz schnell weg. Es ist wirklich so. Man braucht sich auf keine Medaille irgendwas einzubilden. Beim nächsten Wettkampf fängt man wieder ganz von vorne an. In Oberhof bin ich neulich Bahnrekord gefahren, danach in Altenberg eine halbe Sekunde hinterher, so ist das.
Ihre Vorsicht hindert die Öffentlichkeit nicht, zu fordern: Hol gefälligst wieder Gold, Schorsch!
Stimmt schon. Das sind halt keine Insider.
Und falls Sie verlieren, heißt es: Der bringt es auch nicht mehr.
Ja, das passiert jedem Sportler mal. Eigentlich sollte jeder Sportler auf dem Zenit aufhören. Das wäre toll. Aber schauen Sie: Wenn ich 1992 nach der ersten olympischen Goldmedaille aufgehört hätte, würde mir jetzt ein Weltmeistertitel fehlen, ein zweites Olympia-Gold und so weiter. Man weiß doch vorher nicht, wo der Zenit ist. Für mich reicht's immer noch, vorne mitzufahren. Ich kann das sehr gut relativieren. Wenn ich Fünfter werde, dann waren eben nur vier besser – auf der ganzen Welt. Nicht schlecht. Es war als Junger für mich ein Ziel, im Weltcup unter die ersten Zehn zu fahren, das war Wahnsinn, das war awesome.
Die Konkurrenz zittert aber schon wieder vor Ihrem neuesten Materialcoup. Es heißt, Sie verbringen Nächte mit Vorliebe im Keller und tüfteln am Schlitten.
Das ist Realität. Ich sage: Was ich selbst kann, da bin ich auf keinen angewie
sen. Da liegt einfach auch sehr viel Potential drin.
Ist das, verglichen mit dem Hochgeschwindigkeitserlebnis Rodeln, nicht etwas eintönig?
Nein, das macht Spaß. Das ist wie ein Hobby. Der eine baut sich eine Modell-Landschaft auf, ich baue mir meinen Schlitten – und kann mich damit im Leistungssport unter Umständen verbessern. Das ist doch das Tollste, was es gibt: die Entwicklung des Sports mitzubestimmen und mitzuprägen.
Was ist der Gegenwert einer monatelangen feinmechanischen Arbeit?
Es kann sein, daß eine halbe Sekunde rauskommt – oder gar nichts. Die größte Entwicklung liegt einfach in den Kufen, in dieser Kante, die im Eis liegt.
Was kann man an der noch groß rumfeilen?
Das würde jetzt den
Rahmen des Gesprächs sprengen.
Wenn Sie ausgefeilt haben, kommen die Spione?
Logisch. Da glotzt dir jeder drüber. Das geht in der eigenen Mannschaft los. Wenn einer meint, er hätte was, versucht er es zu schützen. Und der andere denkt: Da muß ich mal schauen.
Herr Hackl, es ist beängstigend: Wen man auch fragt, niemand mag etwas Gemeines über Sie sagen. Unlängst allerdings enttarnte die Freiburger „Zeitung zum Sonntag“: „Bisweilen wirken die Grenzen seines Humors so eng wie die Täler des Watzmann-Massivs.“
Grenzen des Humors?
Genau. Da wurde auch Ihr taktischer Trick entlarvt, das Ende einer Frage in „gespreiztem Hochdeutsch“ zu wiederholen, um Zeit zu gewinnen für die Antwort.
So genau wird das analysiert? So genau habe ich mich selbst noch nicht analysiert.
Gibt es den Punkt, an dem Sie keinen Spaß mehr verstehen?
Sicherlich. Vielleicht hat der Kollege mal versucht, mir einen Scherz anzudrehen, den ich nicht so lustig gefunden habe.
Als die taz Sie „rasende Weißwurst“ nannte, ist Ihnen das Lachen vergangen.
Auch das muß ich korrigieren. Ich habe eigentlich nichts unternommen. Das kostet nur Kraft, Energie und Anwaltskosten, und dann wird die ganze Sache erst richtig publik. Geklagt hat mein damaliger Kommandeur, weil er die Bundeswehr in diesem Artikel verunglimpft sah. Mei, jeder hat seine Meinung. Ich stehe aber hinter der Bundeswehr, und das nicht nur, weil sie mich als Sportler unterstützt, sondern aus politischer Überzeugung.
Sie gelten auch als eher konservativ denkender Mensch.
Eher konservativ, so, so. Ja gut. Sie haben Ihre vorgefertigte Meinung.
Ich hab' keine vorgefertigte Meinung. Und Sie?
Meine politische Einstellung ist eigentlich sehr gemischt.
Gemischt?
Man braucht ein Gleichgewicht. Überall. Das fängt im eigenen Körper an. Ein Mensch funktioniert nur, wenn alle Funktionen im Körper im Gleichgewicht stehen. Ein Staat auch.
Heißt?
Ja, wenn eine Sache überwiegt oder zuviel Macht hat, dann läuft es aus dem Ruder.
Ist das ein Plädoyer für einen Machtwechsel in Bonn? Da überwiegt seit 15 Jahren Kohl.
Und was war vorher? Da hat die andere Richtung überwogen. Man braucht auch eine konstruktive Opposition. Momentan ist es verfahren, weil weder die eine noch die andere Seite weiß, wo man die Kohle herkriegen soll. Es gibt aber konstruktive und profilierungssüchtige Politiker – in allen Reihen.
Nennen Sie mal Namen.
Das würde Ihnen so passen.
Dann lassen Sie uns wenigstens noch etwas Wichtiges klären: Was genau bedeutet „bärig“?
Bärig? Super, toll.
Ist „bärig“ besser als „pfundig“?
Pfundig sage ich eigentlich nicht. Das wird mir in den Mund gelegt. Ich sage bärig. Bärig.
Und wo ist nun der Punkt, an dem sich Ihr Humor verengt?
Also mit der Weißwurst hat der Humor noch nicht aufgehört. Da kann ich sogar drüber lachen. Aber „Debilität“? Ich habe gar nicht gewußt, was das Wort bedeutet. Daß man nicht richtig im Kopf ist – da hört der Spaß auf. Und: „Resthirn in die Kufen gerutscht“? Das ist schon irgendwie schwach, gell?
Aber Weißwurst ist okay?
Rasende Weißwurst, das finde ich ganz lustig. Wenn man das visualisiert: Da kann ich schon drüber lachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen