: "Nur 18 Absagen"
■ Ein Gespräch mit dem algerischen Filmemacher Abderrahman Bouguermouh, dessen Spielfilm "La colline oubliee" seit 1962 auf seine Realisierung wartete. 1997 wurde er fertiggestellt
Ende Juni wurde der kabylische Sänger Matoub Lounes in Algerien ermordet. Wenige Tage später trat dort ein Arabisierungsgesetz in Kraft, das nicht nur gegen die Sprache des einstigen Kolonisators Frankreich, sondern auch gegen die der berberischen Kabylen gerichtet ist. Der erste berberische Spielfilm „La colline oubliée“ (Der vergessene Hügel, 1997) ist vor diesem Hintergrund mehr Politikum als kulturelles Ereignis. Der 1936 in der Kabylei geborene Filmemacher und Drehbuchautor Abderrahman Bouguermouh ist derzeit Stipendiat des Landes Nordrhein-Westfalen, beim Heinrich-Böll-Fonds für Verfolgte Autoren.
taz: Warum wollten Sie den Roman „La colline oubliée“ von Mouloud Mammeri verfilmen?
Abderrahman Bouguermouh: In der Schule hatten wir denselben Unterricht wie Schüler in Frankreich. In keinem der Bücher existieren wir Berber. Eines Tages fiel mir dieser erste Roman von Mammeri in die Hände, und plötzlich war ich in meiner Welt, nach der ich so lange vergeblich gesucht hatte. Später hat es noch andere kabylische Romane in französischer Sprache gegeben, aber dieses Buch blieb für mich wie eine erste Liebe, die man nie vergißt. Außerdem ist Mammeri die Symbolfigur des Freiheitskampfes der Berber. Es war also klar, daß ein erster Berber-Film auf einem seiner Romane basieren mußte.
Der Roman spielt während des Zweiten Weltkriegs. Das ist nicht gerade aktuell...
In gewisser Weise schon. Ich habe festgestellt, daß sich unser Schicksal ständig wiederholt. Es ist immer dasselbe: Die Kabylei ist „der vergessene Hügel“, eine vergessene Gegend Algeriens, für deren Freiheit nichts getan wird. Man verwehrt uns das Recht, in unserer Sprache zu leben, zu arbeiten und zu singen. Als Berber fühlen wir uns fremd im eigenen Land.
Es ist wohl auch einige Jahrzehnte her, daß Sie den Plan zu diese Film faßten.
Das erste Drehbuch habe ich 1962 mit Mammeri bei der Zensurkommission, also beim Kultusministerium, vorgelegt. In Algerien ist der Film Sache des Staates, der auch Produzent ist. Ich habe es immer wieder eingereicht und nur 18 Absagen bekommen.
Warum?
Wegen der Sprache. Unser Staat wollte keine Berbersprache im Bereich der Kultur und der Medien.
Wie kommt es, daß Sie 1989 dann die Drehgenehmigung erhalten haben?
Es gab 1988 in Algerien eine Revolte, die – zumindest im Kultursektor – eine Art demokratischen Aufbruch bewirkt hat. Ich habe die Gelegenheit genutzt und sofort wieder einen Antrag gestellt. Diesmal konnten sie nicht ablehnen. Sie hatten zu viele andere Projekte bewilligt.
Das politische Klima hat sich dann rasch verändert. So gelang es Ihnen, diesen Film zu drehen?
Der Staat hat die Kabylei geschont, weil er mit diesem Riesenproblem des Islamismus beschäftigt war, das er für ernster hielt als das Berberproblem. Sie meinten, uns jederzeit bändigen zu können, wie sie es schon so häufig getan hatten. Also haben sie mich gewähren lassen. Obgleich sie eigentlich alles versucht haben, um diesen Film zu verhindern. Von heute auf morgen hat diese Regierung, die ja Produzent war, aufgehört, algerische Filme zu fördern. Schließlich waren es die Kabylen, die sich für diesen Film stark gemacht haben. Für sie war es nicht nur ein Film; es war eine politische Aktion. So konnten wir ihn fertigstellen.
Es handelt sich also um den ersten Film in Berbersprache. In welchem Rahmen konnte Tamazirt bislang benutzt werden?
Unter uns. Wir hatten auch einen Sender, der „radio kabyle“ genannt wurde. Es gibt aber vor allem eine orale Dichtung, die sehr, sehr stark und engagiert ist. Sie ist die Inspirationsquelle für unsere Sänger, die die berberische Identität mit ihren Liedern wachgehalten haben.
Mir ist aufgefallen, daß im Film auch französisch gesprochen wird.
Die erste Emigrationswelle nach Frankreich ging vor allem von der Kabylei aus. Unter sich sprechen unsere Männer französisch. Zumindest die Gebildeteren. Auch Auswanderer, die im Urlaub nach Hause fahren und zeigen wollen, daß sie diese Sprache beherrschen. Es ist also ganz natürlich gewesen, französisch zu sprechen. In Zukunft jedoch wird es ein politischer Akt sein. Solange meine Regierung die Pluralität der Sprachen in Algerien nicht anerkennt, werde ich mich weigern, arabisch zu sprechen.
Der staatliche Kampf gegen die Berberkultur ist nicht neu...
Das geht auf die algerische nationalistische Bewegung ab 1939 zurück. Die Nationalisten wurden von außerhalb gelenkt – von Kairo, Tunis, Rabat, Bagdad. Man hatte sich in den Kopf gesetzt, daß wir für die arabische Kultur eine Gefahr bedeuteten. Daß, solange in Ländern mit starker Berbermehrheit die Berbersprache benutzt würde, Arabisch sich dort nie als Landessprache durchsetzen würde. Also hat man seit jeher versucht, die Kultur der Berber zu unterdrücken. Es hat eine Zeit gegeben, als die Menschen Angst hatten zu sagen: „Ich bin Berber.“ Von der Unabhängigkeit 1962 bis 1988 durfte man das Wort „Berber“ nicht einmal aussprechen. Viele Kabylen haben deshalb ihre Arbeit verloren oder sind gar verhaftet worden. Sänger sind ins Gefängnis gekommen, weil sie auf berberisch gesungen haben. Matoub ist verhaftet worden, Ait Mangellat, Ferhat, Malika Doumrane, sie alle.
Spielte nicht auch der Neid auf den Erfolg der Kabylen eine Rolle?
Die Kabylei ist eine sehr arme Gegend. Die Erde ist unfruchtbar. Also waren wir gezwungen, Handel zu treiben und zu studieren. So kam es, daß nach der Unabhängigkeit 80 Prozent der algerischen Verwaltung in den Händen von Kabylen lag. Die Einheitspartei hat dies nie akzeptieren können, und 1972 hat die FLN eine Antiberberkampagne gestartet. Sie entließen Berber, um sie durch Araber zu ersetzen, die zweisprachig waren. Die arabische Sprache haben sie allerdings damals noch nicht durchsetzen können, weil ihre eigene Elite französischsprachig war und Arabisch nicht ausreichend beherrschte.
Inwiefern betrifft das kürzlich in Kraft getretene Arabisierungsgesetz die Situation der Berber?
Es ändert alles. Vor drei Jahren hatte die Regierung beschlossen, Tamazirt und Arabisch auf die gleiche Stufe zu stellen. Tamazirt sollte in den Gymnasien gelehrt sowie in der Justiz und überall sonst erlaubt werden. Nun legen sie den Rückwärtsgang ein. Jetzt soll alles arabisiert werden. Alles: die Verwaltung, die Schulen, die Gmynasien, die Universität. Mit diesem Arabisierungsgesetz wird es für uns Berber unmöglich, in Algerien zu arbeiten. Was wollen wir machen? Wir lehnen diese Sprache ab. Es ist nicht unsere Sprache, es ist nicht die Sprache unserer Mutter. Die Mehrheit wird sich weigern, in einem Büro zu arbeiten, wo man einen arabischen Brief verfassen muß. Von heute auf morgen werden wir zu den Analphabeten Algeriens gemacht, und das kommt nicht in Frage. Entweder man läßt beide Sprachen zu, oder wir laufen in eine Katastrophe. Wir werden uns zu wehren wissen. Wir werden kämpfen.
Was sind Ihre Projekte?
Ich möchte einen Film über Matoub Lounes machen. Man wird diesen Sängern, die es verstanden haben, eine ganze Bevölkerung zu mobilisieren, damit sie ihre Kultur nicht vergißt, nie genug Ehre erweisen können. Übrigens hatte ich dies bereits zu seinen Lebzeiten vor, aber er war sehr schwer zu kontaktieren. Ich war in Algerien, er in Paris, und wenn er im Lande war, war er immer äußerst vorsichtig – bis zu dem Tag, als sie ihn umbrachten.
Man fragt sich, warum er gerade jetzt zurückkommen mußte.
Er hatte in Algerien seine jüngste Kassette aufgenommen und wollte die Aufnahmequalität überprüfen. Diese letzte Kassette enthält die erste Nationalhymne der Kabylen.
Heißt das, daß die Kabylei Autonomie anstrebt?
Es geht in diese Richtung. Wir können eigentlich nicht anders. Algerien ist zu groß, die Regionen zu verschieden; da läßt sich nicht durchhalten, was die Einheitspartei vertritt: eine einzige Ideologie, eine einzige Kultur, ein einzige Religion. Ganz langsam bewegen wir uns auf den Föderalismus zu. Nur das kann Algerien retten. Interview: Sibylle Kroll
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