: "Ein Stuhl bleibt frei“
■ Ralf Fücks über das Wahldesaster der Grünen
Warum haben die Grünen Ost und West sich nicht vor den Wahlen vereinigt? Dann wärt ihr jetzt im Bundestag.
Ralf Fücks: Wir sind unseren eigenen deutschlandpolitischen Prinzipien zum Opfer gefallen. Wir haben immer für Respekt vor der Eigenständigkeit der politischen Kultur der DDR plädiert. Und deshalb sind wir getrennt angetreten und haben gemeinsam verloren. Auch die Bürgerbewegung der DDR ist in ihrem politischen Gewicht durch die Wahlniederlage der Westgrünen geschwächt worden.
Nach den ersten Statements von Grünen ist ein innerparteiliches Schlachtfest zu erwarten.
Das glaube ich nicht, weil aus der Parteibasis der Ruf nach Zusammenhalten kommen wird, um den Untergang abzuwenden. Aber ich glaube, daß sich die tieferliegenden Gegensätze, die bis in persönliche Feindschaften aufgeladen sind, jetzt nicht mehr verdecken lassen. Die Frage ist nur, ob das mittelfristig in ein Hauen und Stechen nach den alten Flügelfronten mündet oder ob es hin zu einer Neubesinnung der Partei geht. Aber klar ist, daß es mit kosmetischen Korrekturen nicht getan ist. Diese Existenzbedrohung hat tieferliegende Ursachen. Den Grünen ist der politische Geist verlorengegangen. Das hat die Identifikation auch so brüchig gemacht, daß viele jetzt nicht mehr Grüne gewählt haben. Als ginge es nicht um ihre eigene Sache, sondern um einen Parteiladen. Und das ärgert mich an diesen Wählern.
Aber der Geist mit dem die Grünen gegründet wurden, läßt sich ja nicht zehn Jahre später aus der Situation einer geschlagenen Partei wiedererwecken. Stehen die Grünen jetzt nicht geist- und organisationslos da?
Ich sehe die Gefahr, daß die Grünen jetzt personell und intellektuell noch stärker ausbluten. Wir verlieren mit der Bundestagsfraktion und der Mitarbeiterschaft ja auch unseren Brain-Trust. Und es werden sich viele in der Generation der 30- bis 40jährigen beruflich und politisch umorientieren. Trotzdem glaube ich, daß die Grünen gesellschaftliche Tiefenströme repräsentieren, die sich nicht so kurzfristig abdrängen lassen. Ich glaube nicht, daß die SPD Ökologie, Feminismus, Bürgerrechte wieder monopolisieren kann. Dazu ist sie zu wenig innovationsfähig und aus sich alleine heraus ja nicht gesellschaftlich mehrheitsfähig. Insofern bleibt ein politischer Platz frei.
In Bremen haben die Grünen bei den Bundestagswahlen immer wesentlich besser abgeschnitten, als bei Bürgerschaftswahlen. Seid ihr nicht in Gefahr im nächsten Herbst an der 5%-Klausel zu scheitern?
Das verbanne ich erst mal aus meinen schwärzesten Träumen. Ich hoffe erstens auf einen Trotzeffekt, sowohl innerhalb der Grünen, wie auch in unserem politischen Umfeld. Zweitens glaube ich, daß auch das Wählerverhalten ein anderes sein wird, wenn es mit dieser Stimme wirklich etwas zu entscheiden gibt. Das war ja ein grundlegendes Motivationsproblem, daß viele dachten, sie haben gar nichts mehr zu entscheiden mit dieser Wahl. Die SPD wird ihre absolute Mehrheit voraussichtlich verlieren. Und dann wird die Frage sein, mit welcher Kombination in Bremen regiert wird. Die Grünen alleine werden mit ihren mageren Kräften sicher keine politische Offensive gegenüber der SPD ingang kriegen. Dazu braucht es Initiative aus den verschiedenen Bewegungen heraus.
Hast Du noch Lust, solche Initiativen mitzuorganisieren?
Ich bin nach dem letzten Jahr ein gebranntes Kind. Und ich hab' auch Angst vor neuen Niederlagen, die ich mir auch persönlich zuschreibe. Aber wenn es Aussicht auf ein gesellschaftliches Projekt gibt, ist die Versuchung groß, nochmal alles auf eine Karte zu setzen. Fragen:hbk
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