INTERVIEW: "Die US–Initiative bringt uns nicht weiter"
■ Der Palästinenser Naim S., Studentenvertreter der Universität von Bethlehem, zum Besuch von Außenminister Shultz
taz: Wie stehen die palästinensischen Aktionskomitees, die den Aufstand in den besetzten Gebieten koordinieren, zum Besuch des US-Außenministers Shultz, der am Donnerstag in Israel erwartet wird?
Naim S.: Die amerikanische Initiative wird uns der Verwirklichung unseres Ziels nicht näher bringen. Im Gegenteil: Die Zwischenlösung einer palästinensischen Selbstverwaltung, die auf der Tagesordnung stehen wird, soll auch künftig den Weg zu einer staatlichen Selbständigkeit der Palästinenser blockieren. Die Volkskomitees haben daher beschlossen, keinerlei Gespräche mit dem amerikanischen Außenminister zu führen.
Letzte Woche hieß es, PLO-Chef Arafat habe eine Gruppe palästinensischer Persönlichkeiten für Gespräche mit Shultz bestimmt. Wie stehen Sie dazu?
Die Personen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, vertreten weder das palästinensische Volk noch seinen Aufstand. Es handelt sich um die Repräsentanten einiger wohlhabender Familien, die traditionell als selbsternannte und von fremden Regierungen herangezogene Gesprächspartner fungieren. Sie genießen heute nicht die Unterstützung des Volkes. Auch wenn Arafat diese Figuren noch als Kontaktpersonen zwischen Washington und den israelischen Behörden nutzt, haben sie kein Mandat und keine Legitimation der verschiedenen PLO-Organisationen. (Am Montag wurde das geplante Treffen zwischen Shultz und den palästinensischen Persönlichkeiten abgesagt, nachdem sich in Vorgesprächen herausgestellt hatte, daß die USA nach wie vor das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, Verhandlungen mit der PLO und einen palästinensischen Staat ablehnen.(Anm.d.Red.)
Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Ergebnisse des palästinensischen Aufstandes seit dem 8.Dezember?
Das Selbstbewußtsein der Bevölkerung ist viel stärker geworden. Jeder Mann und jede Frau sind jetzt politisch am Kampf beteiligt. Die sogenannte jordanische Option – der Versuch, die 20jährige israelische Besatzung durch eine gemeinsame israelisch-jordanische Verwaltung zu ersetzen – wird abgelehnt. Die Lösung, die allgemein angestrebt wird, ist die Bildung eines unabhängigen palästinensischen Staates, auch wenn der Weg bis dahin lang und schwierig ist.
Der Aufstand gegen die Besatzung hat zudem die Weltöffentlichkeit beeinflußt und das wahre Gesicht der israelischen Besatzung enthüllt. Die „nationale Moral“ der Palästinenser war noch nie so hoch wie jetzt. Dies ist das Ergebnis der eigenen Erfahrungen mit den neuen, unbewaffneten Kampfmethoden, die alle Schichten der Bevölkerung erfolgreich anwenden. Außerdem ist die „grüne Linie“ (zwischen Israel vor 1967 und den besetzten Gebieten, d.Red.) neu gezogen und die Teilung Jerusalems deutlich sichtbar geworden.
Wie sind die Beziehungen zwischen der PLO im Ausland und der inneren Führung der Palästinenser?
Der gesamte Prozeß, der sich gegenwärtig in der Westbank und dem Gaza-Streifen abspielt, findet im Rahmen der Politik der PLO statt. Die Bevölkerung identifiziert sich in ihrer vereinten Initiative mit der PLO: Sie ist die PLO. Es handelt sich nicht um eine alternative Führung. Alle Komponenten der PLO (Parteien und soziale Organisationen, Anmerkung der Redaktion) sind in den örtlichen Führungsausschüssen vertreten. Die PLO draußen erkennt die Dynamik der Entwicklung im Innern an. Die ad-hoc-Komitees, die es hier überall gibt, sind kein Ersatz für die PLO, sondern Teil der PLO. Das Gespräch führte Amos Wollin
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