press-schlag: Ihr spinnt ja komplett!
HELDENHAFT Franz Beckenbauer zu stellen, ist ein lächerliches Unterfangen. Er entzieht sich dem Zugriff der Medien auf bemerkenswerte Weise
Mit der in den Medien gepflegten Kultur der Empörung ist einem Franz Beckenbauer nicht beizukommen. Ein Mann, der einmal Lichtgestalt ist, ein andermal Firlefranz, der seine bürgerliche Existenz längst transzendiert hat und im folkloristischen Unterbewusstsein der Republik als leutseliger, leicht verschrobener Wiedergänger der eigenen Wurschtigkeit wohnt, scheint sich einer herkömmlichen Vermessung mit Moralmaßstäben zu entziehen. Das ist heute so bei seiner offensichtlichen Verwicklung in die DFB-Bestechungskiste, das war früher so, als er keine geknechteten Sklavenarbeiter auf katarischen Baustellen gesehen haben wollte; seit er den Markenbotschafter für den russischen Ölmulti Gazprom gibt; als er von der Fifa-Ethikkommission vor der WM in Brasilien vorübergehend gesperrt wurde, weil er sich arg viel Zeit ließ mit der Beantwortung eines Fragebogens.
Wenn ihm jetzt alle zu Leibe rücken, Fernsehteams von Spiegel TV („Ihr spinnt ja komplett!“), Anwälte von Freshfields („Das war kein Verhör“) und bisweilen auch eine Handvoll Journalisten („Ich erinnere mich nicht“), dann kann sich der Franz nur noch wundern über diese Zudringlichkeiten. Ja, was wollt’s ihr denn, scheint er sich dann zu fragen. Damals seien die Zeiten nun mal andere gewesen. Man sei an Grenzen gegangen. Musste an Grenzen gehen, um den Deutschen das Sommermärchen zu bescheren. Ob diese Grenzen jemals überschritten worden sind, vom Franz oder den Leuten, die ihm die Hand geführt haben, Fedor Radmann oder Horst R. Schmidt, das weiß man nicht. Das heißt: Der Franz weiß es nicht. Denn er ist alt geworden. Mit 70 geht vieles verschütt im Gedächtnis. Es ist ja auch so lang her.
Auch wenn das Interview, das Beckenbauer kürzlich der Süddeutschen Zeitung gegeben hat, mindestens ein so großer PR-GAU gewesen ist, wie die hektisch einberufene Pressekonferenz des mittlerweile zurückgetretenen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach, darf Beckenbauer weiter herumfranzeln in seiner unnachahmlich einnehmenden Art. Am Ende steht komischerweise nicht Beckenbauer, der sich dummstellte, dumm da, sondern die um Aufklärung bemühten Fragesteller. Franz darf weitermachen mit seinem „Ja, mei“, seinem milden Schimpfen über gewisse „Zauberer“, die ihm am Leder flicken wollen, seinen so berechenbaren Expertisen, die er auch künftig im Fernsehsender Sky zum Besten geben darf. „Ich habe alle Fragen beantwortet und somit meine Schuldigkeit getan“, hat Beckenbauer am Dienstag auf Sky gesagt. Damit scheint die Sache erledigt. Für ihn. Für viele andere auch. Passt scho’. Weiter geht’s. Muss ja. Ist halt der Franz. Der oide Hund.
Es ist immer wieder bemerkenswert, wie im Sport Netzwerke und Mythen, die um Macher und Manager gestrickt werden, deren moralische Unantastbarkeit organisieren bzw. garantieren. In so einem Umfeld kann Niersbach weiterhin seine Funktionärsposten in der Uefa und der Fifa einnehmen. Hier kann sich Strippenzieher Günter Netzer so klein machen, dass er nicht etwa große Räder beim WM-Deal 2006 gedreht haben will, sondern als Chauffeur nur ein kleines in einem Auto. Und böse sind in diesem Zusammenhang eh nur die anderen, vorzugsweise die Fifa, die gänzlich lautere Deutsche an die Grenze der Mauschelei gebracht haben. Soll heißen: Franz Beckenbauer hat sich doch nur für Deutschland krumm gemacht. Es war ein Dienst am Vaterland. Mund abputzen, Spot an für die Lichtgestalt. Markus Völker
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