Südkoreas neuer Präsident Lee Jae-myung: Hart gesottener Überlebenskünstler aus der Arbeiterschaft
Der 61-jährige linksliberale Oppositionspolitiker hat die vorgezogene Präsidentschaftswahl klar gewonnen und wurde bereits vom Parlament vereidigt.

Doch statt in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, führte Lee seine Partei im April 2024 zum Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen und konnte so Yoons rechte Politik ausbremsen. Als dieser im Dezember 2024 deshalb kurzzeitig überraschend das Kriegsrecht verhängte, übernahm Lee eine führende Rolle im Widerstand.
Bei seiner Siegesrede in der bereits am Mittwoch erfolgten Vereidigung im Parlament sagte er jetzt, die erste Aufgabe bestehe darin, „dafür zu sorgen, dass es nie wieder einen Militärputsch mit Gewehren und Schwertern gegen das Volk gibt.“ Das Verfassungsgericht hatte im April die vom Parlament wegen der Kriegsrechtserklärung beschlosse Amtsenthebung Yoons bestätigt.
Lee hat jetzt 49,42 Prozent der fast 35 Millionen abgegebenen Stimmen bekommen, während sein konservativer Rivale Kim Moon Soo 41,15 Prozent der Stimmen erhielt. Der bisherige Arbeitsminister Kim hat seine Niederlage eingeräumt. Im Wahlkampf hatte er sich nur halbherzig von Yoon distanziert. Die Wahlbeteiligung lag bei fast 80 Prozent und war damit die höchste bei einer Präsidentschaftswahl seit 1997.
Lee ist Anti-Establischment-Politiker
Der linkspopulistische Anti-Establishment-Politiker Lee ist für Konservative eine Reizfigur, die ihn stets zu verunglimpfen versuchten. Das konnte Lee aber zunehmend an sich abprallen lassen.
Dabei hat er mehrere Gerichtsklagen am Hals, die von angeblichen Korruptionsvorwürfen zu seiner Zeit als Bürgermeister eines Vororts der Hauptstadt Seoul bis hin zu angeblichen Falschaussagen im Wahlkampf 2022 reichen. Die Vorwürfe, die er stets zurückwies, bedrohten seine Kandidatur. Jetzt wird er in seiner fünfjährigen Amtszeit Immunität genießen.
Für seine Anhänger macht ihn allein schon seine Vita glaubwürdig. Denn er wuchs in bitterer Armut auf, seine Eltern reinigten Toiletten und nach der Grundschule musste er selbst als Kinderarbeiter seinen Lebensunterhalt in Sweatshops bestreiten. Er hatte zwei schwere Arbeitsunfälle, bei einem verkrüppelte eine Presse sein Handgelenk. Auch überlebte er einen Suizidversuch.
Ohne weiteren Schulbesuch bestand er die Aufnahmeprüfung fürs College. Danach studierte er Jura und vertrat als Menschenrechtsanwalt Arbeiter vor Gericht. Er wurde Bürgermeister, Provinzgouverneur, Parlamentsabgeordneter und Parteivorsitzender. Im vergangenen Jahr überlebte er verletzt einen Attentatsversuch.
Klassisch linke Positionen
Politisch vertrat er lange klassische Positionen der koreanischen Linken: Stärkung der Arbeitnehmerrechte, mehr Sozialstaat, Kritik an den USA und der früheren Kolonialmacht Japan, Entspannung mit China und Nordkorea. Jetzt schwächte er im Wahlkampf vieles davon ab. Seine Gegner nehmen ihm das nicht ab. Sie stellten ihn stets als unverbesserlichen linken Ideologen dar.
In seiner Rede nach dem Amtsantritt erklärte Lee, er strebe eine diplomatische Annäherung gegenüber Nordkorea an. Doch werde seine Regierung möglichen nordkoreanischen Aggressionen mit „starker Abschreckung“ begegnen, die auf der Militärallianz zwischen Südkorea und den USA basiere. Bisher hatte weder eine linke Entspannungspolitik noch ein harter Kurs rechter Regierungen das Regime in Pjöngjang zu grundsätzlichen Reformen bewegen können. Gegenüber Trumps USA und Japa versprach Lee eine pragmatische Diplomatie an. Er wolle die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Seoul, Washington und Tokio stärken.
Viele bezweifeln, ob Lee die tief gespaltene Gesellschaft wieder wird vereinen können. Doch wurde dies seinem unterlegenen Gegner noch weniger zugetraut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trotz widersprüchlicher Aussagen
Vermieter mit Eigenbedarfsklage erfolgreich
Inhaftierte Antifaschist*in in Ungarn
Maja T. tritt in den Hungerstreik
Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza
Schräger Segeltörn
Klingbeils Pläne für Dienstwagen
Neue Vorteile für dicke Autos
Sugardating
Intimität als Ware
Arbeitnehmerfeindliche Politik der SPD
Die rote FDP