Kurdische Politikerin in der Türkei verurteilt: 22 Jahre Haft für Leyla Güven
Die Politikerin setzte sich für die Rechte der kurdischen Minderheit ein. Einen Hungerstreik vor zwei Jahren hätte sie beinahe mit dem Leben bezahlt.
Dabei hat sie sich auch von früheren Gefängnisstrafen nicht abschrecken lassen, im Gegenteil. Viele Kurden und vor allem Kurdinnen bewundern ihren Mut und ihre Konsequenz, andere kritisierten aber auch einen gewissen Fanatismus bei ihr, der sich insbesondere in ihrem Hungerstreik für die Freilassung des früheren Chefs der PKK Abdullah Öcalan zeigte.
Während dieses Hungerstreiks im Winter 2018/19 wäre sie fast gestorben, obwohl nie die geringste Chance bestand, dass Öcalan tatsächlich freigelassen werden würde.
Leyla Güven wuchs in einer konservativen kurdischen Familie in Zentralanatolien auf und wurde entsprechend den dort vorherrschenden Vorstellungen als 16-Jährige verheiratet. Sie bekam zwei Kinder, begann aber später sich in einer kurdischen Frauenvereinigung politisch zu engagieren. Sie ließ sich scheiden.
Im Frauenverband aktiv
Danach engagierte sie sich vor allem für die politische Selbstbestimmung der Kurden und die Befreiung der kurdischen Frauen. In der HDP und deren Vorläuferorganisation Hadep war sie im Frauenverband aktiv.
2004 wurde sie erstmals in einer Kleinstadt bei Adana zur Bürgermeisterin gewählt, kurz darauf wurde sie zum ersten Mal festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, in den von der PKK etablierten KCK-Parallelstrukturen mitzuarbeiten. Sie blieb einige Jahre in Untersuchungshaft, konnte aber bei den Kommunalwahlen 2009 wieder antreten und wurde zur Bürgermeisterin der größeren Stadt Viranşehir gewählt.
Bereits 2010 musste sie wieder in U-Haft, als ihr Prozess wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der PKK begann. Vier Jahre blieb sie erneut in Haft, bis man sie endlich freiließ, weil der Prozess immer noch andauerte. Als sie 2017 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, hatte sie diese Strafe bereits abgesessen und blieb auf freiem Fuß.
Da war sie in dem turbulenten Jahr 2015 schon ein halbes Jahr Abgeordnete des türkischen Parlaments gewesen, von Juni bis November, als sie bei einer vorgezogenen Neuwahl ihr Mandat wieder verlor. Im Januar 2018 saß sie bereits wieder in U-Haft, weil sie den Einmarsch türkischer Truppen in Syrien, in die hauptsächlich von Kurden bewohnte Provinz Afrin, kritisiert hatte.
Protest gegen Willkür
Doch mit Unterstützung ihrer wachsenden Anhängerschaft gelang es ihr bei den Wahlen im Juni 2018 aus dem Gefängnis heraus erneut auf der Liste der HDP ins Parlament gewählt zu werden. Obwohl ein Gericht daraufhin ihre Freilassung anordnete, blieb sie in Haft.
Nicht zuletzt aus Protest gegen diese Willkür begann sie im November 2018 ihren Hungerstreik für die Freilassung Öcalans. Selbst als ihre Situation lebensbedrohlich wurde, widersetzte sie sich den Bitten der HDP-Parteiführung sowie weiterer prominenter Intellektueller und setzte ihren Hungerstreik fort. Erst nach ihrer Entlassung im Januar 2019 ließ sie sich helfen. Monate später konnte sie ihr Mandat im Parlament antreten.
Im Juni 2020 entzog eine Mehrheit im Parlament ihr die Immunität, sie wurde erneut als Mitglied der PKK angeklagt. Anhänger der Opposition hatten von einem „Putsch im Parlament“ gesprochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern