portrait: Drei Millionen Jahre Politik
Gestorben ist sie vor 3,2 Millionen Jahren im Alter von rund 25. Wie, darüber lässt sich nur spekulieren: In den Armen ihrer kleinen, behaarten Lebensgefährtin, den Blick in den blauen Himmel der afrikanischen Savanne gerichtet, noch ein letztes, zärtliches „Ugga“ oder ein mystisches „Obama“ nuschelnd.
Die Rede ist von Lucy: Popstar, Urmutter der Menschheit der Art Australopithecus afarensis und das einzige Skelett, bei dem selbst US-amerikanische Präsidenten um eine Audienz bitten müssen. Lucy gilt als am besten erhaltenes Fossil früher menschlicher Vorfahren. Am Montag lag sie, wie üblich in 88 Knochenfragmente zersplittert, im äthiopischen Nationalmuseum in Addis Abeba vor Barack Obama, der gerade auf Staatsbesuch war.
Der Präsident himself berührte einen ihrer kostbaren Wirbelknochen und war darüber selbst berührt: „Das erinnert uns daran, dass Äthiopier, Amerikaner, alle Menschen der Welt Teil der selben Familie sind“, sagte Obama. Ein Wissenschaftler soll zugefügt haben: „Jede einzelne Person, sogar Donald Trump.“
Was würde Lucy dazu sagen, als Friedensbotschafterin eines mächtigen Homo Sapiens herhalten zu müssen, der Feuer und Tod vom Himmel regnen lässt? Das hellste Licht der Urzeit war sie jedenfalls nicht (benannt nach dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“, ergibt laut John Lennon nur zufällig LSD): knapp über einen Meter Wuchs, Hirngröße eher im Affenbereich. Aufrecht gehen konnte sie leidlich, ob sie Werkzeuge benutzte weiß niemand, vermutlich war sie lesbisch.
Letzteres ist pure Spekulation, sollte aber dringend wissenschaftlich untermauert werden, um die äthiopische Regierung vorzuführen. Die ist extrem homophob und Lucy für sie eine Art Nationalheiligtum, schließlich stützt das Skelett die These, dass sich der moderne Mensch dort entwickelt hat, wo sich heute Äthiopien befindet.
Eine derart politisierte Lucy wäre im Rahmen der Paläoanthropologie. Sprich: Wie der Mensch die Knochen seiner Vorfahren einordnet, hängt vom Weltbild ab. Eine These des Forschers Friedemann Schrenk der Goethe-Uni Frankfurt: In Urmenschen-Darstellungen der 1980er Jahre schlugen sich haarige Biester die Schädel ein, schließlich fürchtete die Gesellschaft die atomare Apokalypse einer sich selbst vernichtenden Spezies. Heute lernen wir, dass unsere VorfahrInnen schon immer wanderten. Also können sich Wohlstandsgesellschaften nicht über Generationen gegen arme Weltgegenden abschotten, sagt Schrenk.
Insofern ist Lucy Schirmherrin einer grenzenlosen Welt. Nur kapieren würde sie das vermutlich nicht. Ingo Arzt
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