piwik no script img

peter ahrens über ProvinzAls Kommunismus noch schlimm war

Einer von uns, der wohlgezielt die Osterkerze abgeschossen hat, brachte es später nicht einmal über die Kreisliga hinaus

Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen ein alter, kranker Mann auftauchte und im harten osteuropäischen Dialekt etwas wie „Gesegnete Ostern“ nuschelte, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. An die Ostersonntage, in denen wir Kinder um sechs Uhr morgens das gerade erst angewärmte Bett wieder verlassen mussten und zum Gänsemarsch hinter den Eltern her in den Frühgottesdienst abkommandiert wurden. Da leuchtete ein Franziskaner vor Begeisterung darüber, dass das Grab auch in diesem Jahr wieder leer und der Held erwacht war. Die Orgel tat das, was sie in der Literatur immer gerne tut, sie brauste, und mein Magen versuchte mit eigenem Geräusch im Takt mitzuhalten, denn natürlich hatte es noch kein Frühstück gegeben. Die Hostie gab es auf nüchternen Magen. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn.

Der greise, kranke Mann in meinem Fernsehen hatte wenig gemeinsam mit meinem alten Gemeindepastor, der Sonntag für Sonntag auf der Kanzel mit einer Stimme, die dem Gottesgericht ziemlich nahe kam, seinen persönlichen Kampf gegen den Weltkommunismus führte. Bei dem Wort Kommunismus ließ er die beiden s in dem Wort so lange nachwirken, dass sie durch alle Bankreihen zischelten, bis zum Foyer wanderten, das damals noch Windfang genannt wurde (da, wo die kleinen Zettelchen auslagen, die darauf hinwiesen, dass die diesjährige Kollekte für die Kirche in der mitteldeutschen Diaspora – was das wieder bedeuten mochte – bestimmt war), um dann auf der anderen Seite der Kirche wieder zum Altar zurückzukommen. Es musste etwas Schlimmes sein, dieser Kommunissssssmussss, etwas, das den Menschen, die sich an diesem Sonntagmorgen in die Kirchenbank drückten (linke Seite die Frauen, rechte Seite die Männer), die Gänsehaut den Rücken herauf und herunter trieb.

Mein alter Pastor verkündete, dass auf den roten Fahnen dieser Irrgläubigen unlesbar das Wort Hasssss geschrieben sei. Doch auch wenn ich mich damals verstohlen umschaute, so war das einzig Rote, das ich entdecken konnte, der glühende Kopf des Pastors, der gerade davon sprach, dass Gehorsam und Demut gegenüber Papst und Erzbischof die Gewähr dafür abgaben, wider alle Erwartung in dieser offenbar durchaus verderbten Welt doch noch mit Müh und Not ins Himmelreich zu schliddern.

Der Pastor trug den schönen Namen Underberg, was in der Gemeinde nur einmal Anlass zur Aufregung gab, weil er anlässlich der auch in der Lokalpresse mit wahrgenommenen Erstkommunionfeier meiner Schwester von einem unkundigen Mitarbeiter der Heimatzeitung als Pastor Bohnekamp tituliert wurde. Wobei Assoziationen zum Magenbitter bei der Gestalt des tiefernst dreinblickenden Würdenträgers Fleisch gewordener Humorlosigkeit nicht so weit entfernt von der Realität waren. Vor allem dann, wenn der heilige Zorn mit uns unbotmäßigen Grundschulkindern ihn überkam und es Schläge im Klassenzimmer dafür gab, dass er ein paar von uns beim Fußballspielen in der Kirche erwischt hatte – wobei einer, der es später trotzdem nicht über die Kreisliga hinausbrachte, mit einem wohlgezielten Kick die Osterkerze abgeschossen hatte. Dafür gab es in der nächsten Unterrichtsstunde für „Katholische Religion“ Dresche und anschließend gleich die großherzige Absolution obendrauf: „So, damit ist die Sache für mich erledigt, und das bleibt jetzt bitte schön unter uns.“

Für härtere Fälle gab es die Beichte, zu der wir Kinder alle vier Wochen am Samstagnachmittag in die Kirche geschickt wurden. Wobei dann reihum einer nach dem anderen im Beichtstuhl verschwand und wir restlichen derweil versuchten, einen Platz in der Kirchenbank möglichst in der Nähe zu erwischen, um zu lauschen, was die anderen so an Verfemtem gesammelt hatten. Sehr viel Frevelhaftes häuft sich in vier Wochen eines Achtjährigenlebens schließlich nicht an, und da tat es gut, sich wertvolle Anregungen bei den übrigen kleinen Sündern zu holen. Falls das auch nichts fruchtete, wurden daher, um die Sache trotzdem lohnend aufzupeppen, kleine Schlechtigkeiten ausgedacht wie „Ich habe vor den Dynamo vom Fahrrad meines Bruders getreten“, um dann zum Schluss als Synthese des Gesamten erleichtert anzufügen: „Ich habe nicht immer die Wahrheit gesagt.“

Das Gefühl, anschließend aus dem Dunkel der Kirche in den hellen westfälischen Samstagnachmittag hinauszutreten, das geflüsterte „Hiermit spreche ich dich von allen deinen Sssssssünden frei“, noch im Ohr, mit einer quasi blütenrein gewaschenen Jungenseele – das war ein Moment der Unverwundbarkeit, in dem man glaubte, es mit jedem Fahrraddynamo der Welt aufnehmen zu können. Schade, dass das Gefühl nur bis spätestens zum nächsten Fußballspiel in der Kirche reichte.

Fragen zur Provinz?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen