piwik no script img

peter ahrens über ProvinzOh, wie schön war Dallas

Was wollte J. R., als Jock sich mit dem Takapa-Projekt verspekuliert hatte? Fünf Prozent von Ewing Oil, was sonst?

Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen ein ebenso breitkrempiger wie -schnalliger Fiesling sein meckerndes Lachen erschallen ließ, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. An die Zeit, in der in Kinderzimmern die ersten Fernseher auftauchten. Mit einem Mal waren die Tage nicht mehr um 20.15 Uhr vorbei und wurden von der ereignislosen Dunkelheit abgelöst. Sie wurden wundersam verlängert um „Klimbim“ und die „Himmlischen Töchter“, wo ich das erste Mal einen nackten Busen sah, als Ingrid Steeger einen spanischen Stier per Striptease bezähmte. Oder später Formel Eins, dienstags, 21 Uhr mit Peter Illmann. Und direkt anschließend J. R. Ewing. Aber das durften die Eltern wirklich nicht mehr wissen, deshalb war der Fernsehton so gut wie abgedreht, und was Ray Krebbs und die frühreife Lucy sich im Heu zusäuselten, blieb allein der Fantasie überlassen, die hochpubertär eine dreiviertel Stunde auf Übertouren lief. Es waren halt die ganz frühen 80er-Jahre in Paderborn.

Kabel 1 hat Dallas jetzt wieder ausgegraben, montags 22.25 Uhr, vorgestern Folge 1. Kabel 1, das ist dieser rührende Minderheitensender aus der Kirch-Konkursmasse zwischen Eurosport und Phoenix auf meiner Fernbedienung, bei dem man beim Riesenslalom durch die abendliche Fernsehpiste mal einfädelt, wenn man sich nicht vorsieht. Nach dem Kanzler-Beispiel, wie erfolgreich man mit „Kein Blut für Öl“ sein kann, sollen jetzt also die Texas-Bohrer Quote bringen. Seitdem ist der späte Montagabend wie eine Therapiesitzung. Alles kommt wieder ans Licht. Wie mein Bruder und ich irgendwann im Spielzeugladen ein Dallas-Quiz entdeckten und es spielten, bis wir selbst die Antwort auf die Frage wussten: Was trank Sue Ellen im Cattlemans Club, als J. R. ihr vorwarf, ihn zu hintergehen? Sie trank einen Bourbon mit Eis. Was wollte J. R. von Cliff Barnes, als sich Jock mit dem Takapa-Projekt verspekuliert hatte? Fünf Prozent von Ewing Oil, was sonst. Er wollte schließlich immer von irgendwem fünf Prozent von Ewing Oil, da war er fast noch penetranter (und erfolgreicher) als Guido Westerwelle mit den 18 Prozent.

Wir schickten Spielkegel auf die Mensch-ärger-dich-nicht- oder die Malefizstrecke, denen wir die Namen der Figuren von der Southfork Ranch gegeben hatten. So trat Donna Culver (kleiner grüner Kegel mit Punkt) gegen Dusty Farlow an, der in der Serie körperlich behindert war und bei unserem Spiel wenig korrekt daher auch einen in der Mitte gesplissenen blauen Plastikkegel zugewiesen bekam. Bobby und Digger Barnes, der ewige Versager, maßen sich im Playbig-Fußball, und Pamela Barnes Ewing und Naldo Marchetta waren Konkurrenten bei der „Panzerschlacht“. Das war auch so ein Spiel, von dem heutige Eltern ihre Schutzbefohlenen schleunigst wegreißen würden. Dabei drehten sich die Panzer, wenn sie sich auf dem Spielbrett gegenüberstanden, lediglich um, und der mit der höheren Zahl auf seinem Heck war der Gewinner. Friedlicher geht’s kaum, friedlicher jedenfalls als bei dem Imperialismus-Paradies Catan, wenn’s ans gnadenlose Ausbeuten von Bodenschätzen geht.

Apropos Ausbeuten: Bei Dallas hab ich alles über Kapitalismus gelernt, zumindest alles, was ausreicht, um anschließend in einer linksliberalen Lokalredaktion das Wirtschaftsressort zu betreuen. Über Kartelle (Oil Barons Club!), über feindliche Übernahmen, da war der mächtige Konkurrent Weststar mit dem fiesen Jeremy Vandell dauernd am Zerren und Übernehmen, ein Schurke, dem selbst der Büdeldorfer Gerhard Schmid nicht das Wasser zu reichen verstand. Oder über den Zusammenhang von Wirtschaftsmacht und Sex, einen Zusammenhang, der sich im Paderborner Südviertel im Schatten der Elisabethkirche im Alltagsgeschehen nicht zwangsläufig offenbarte. Nur über Dallas weiß ich, dass erfolgreiche Unternehmerinnen gemeinhin nymphoman veranlagt sind, und das ist doch eine wichtige Erkenntnis, um die Aufs und Abs an den Börsenkursen zu entschlüsseln. Wer George W. Bush begreifen will, muss Punk Anderson kennen.

Völlig egal, dass die Drehbuchautoren der Serie nach einer gewissen Zeit komplett durchdrehten und sich zum Beispiel herausstellte, dass alles, was in den vergangenen 52 Folgen an Irrungen und Wirrungen passiert war, nur einem Hirngespinst des unter der Dusche tagträumenden Weichspülers Bobby Ewing entsprungen war. Oder irgendwelche verlöschenden Greise auftraten, die behaupteten, sie seien der längst verblichene Jock Ewing, worauf Clayton Farlow erbost ins Hotel gezogen ist und der CIA J. R. mit einem Lügendetektor vor B. D. Calhoun gewarnt hat und Donna und Ray daraufhin die Scheidung eingingen. Irgendwann kamen mein Bruder und ich mit dem Stammbaum-Zeichnen nicht mehr nach. Das muss ungefähr die Zeit gewesen sein, als die Lindenstraße auftauchte.

Fragen zur Provinz? kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen