pampuchs tagebuch: JOHANN SEBASTIAN BACH GEWINNT GEGEN DAS INTERNET
Es mag an Berlin liegen, es mag an der ITB liegen oder auch an mir, weiß der Teufel, aber ich habe den Eindruck, die Hauptstadt und das Internet zusammen sind für mich schwer auf die Reihe zu bringen. Es war wohl eine Schnapsidee, nach Berlin zu reisen (vom friedlichen München her), dann recht geschäftlich den Laptop mitzunehmen und zu meinen, neben den ganzen anderen Verpflichtungen und Vergnügungen auch noch nebenbei schnell ein bisschen surfen zu können. Geplant war, dem Redakteur dieser Seite eine ITB-Kolumne heiß und frisch als Gastgeschenk in die Hand zu drücken. Geplant war, dass ich mich der größten Tourismusmesse der Welt auf zweierlei Art nähern sollte: einmal klassisch, indem ich mich in den Messehallen herumtreiben würde, wichtige Gespräche führend, Informationen aufsaugend und internationale Kontakte knüpfend. (Das habe ich hinter mir, und es war wie immer auf Großmessen hektisch, anstrengend, verwirrend und lustig.) Erhellend und begleitend dazu wollte ich abends ich in meinen knapp bemessenen freien Stunden die Alternative des Messezugangs übers Internet prüfen: bequem am Schreibtisch ohne Hektik, gezielt, präzise die Vorteile der modernen Telekommunikation nutzend. So war das gedacht.
Doch es kam anders – und irgendwie ehrt das Berlin. Die Stadt ist für Besucher einfach nicht internetkompatibel. Zu viele Attraktionen, zu viel Kultur und zu viele Kneipen, als dass man zu erfolgreichem Surfen die Zeit fände. Und, daraus folgend: zu viel Bedürfnis nach Ruhe. Nach einem Tag auf der ITB ist einem nicht nach Internet. Der Mensch in unserer modernen Welt braucht Ausgleich und Besinnung. So entschied ich mich zur Abrundung des Messetags gegen eine Internetsession und für die Johannespassion, die mit Hilfe des Charlottenburger Madrigalchors in der Matthäuskirche vorzüglich umgesetzt wurde. Dass das Ganze praktisch im Schatten der Sony-Zeltstadt geschah, erschien mir nachgerade wie eine Botschaft. Ebenso die Tatsache, dass die Einladung zu dem Ereignis von lieben Freunden kam, deren einer, wiewohl absoluter Computerfachmann, seine Erfüllung zunehmend auch im Singen Bachscher Choräle findet. Nach einem Baguette in der High-Tech-World am Potsdamer Platz pilgerten wir hinüber und ließen alles Moderne hinter uns. „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“, jubelte der Chor, und es war Balsam auf meine hektisierte Seele, „ruht wohl und bringt auch mich zur Ruh“. Nach einem solchen Erlebnis lässt man den Laptop erst mal eine Weile geschlossen. „Macht mir den Himmel auf und schließt die Hölle zu“, heißt das bei Bach.
Ich will nicht sagen, dass die Johannespassion und die Musikschule Charlottenburg nun aus mir einen anderen Menschen gemacht haben, doch ich ließ es auch in den folgenden Tagen ruhiger angehen. Als ich mich schließlich meiner Pflichten entsann und endlich die Messe auch übers Netz beobachten wollte, kam es zu einem jener Mittel-GAUs in meiner Kiste, wie sie regelmäßig auftreten, wenn es eilt. Was immer ich mir an feinen Adressen aus dem Netz holen wollte (und ich hatte auf der Live-ITB ordentlich gesammelt), stets kam die Meldung: „Die Seite kann nicht angezeigt werden. Die gewünschte Seite ist zurzeit nicht verfügbar.“ Auch mein Laptop ruhte wohl. Heute will der Redakteur die ITB-Internet-Kolumne. Na, der wird Augen machen. Doch ganz ohne Homepages trau ich mich nicht zu ihm. Also: www.itb-berlin.de gibt das Messegeschehen in aller seiner Komplexität gut wieder. Und wer nach Nordamerika reisen will, sollte unbedingt www.usa.de versuchen. Da hat er die ganzen Staaten genauso beieinander wie in Halle 4.2 auf der Messe. Ja, das Internet hilft. Bach noch mehr. Und Berlin ist eine Messe wert. THOMAS PAMPUCH
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