pampuchs tagebuch: Im Festspielhaus von Siemens
In dieser – wenn ich richtig mitgezählt habe – hundertsten Kolumne leisten wir uns mal was ganz Feines: Wir besuchen die Website, die eine komplette „Oper in zwei Medien“ enthät. Die dazugehörige Bühneninszenierung wird am 3., 4. und 6. Mai im Carl-Orff-Saal im Gasteig München gezeigt werden. Die Internetoper aber führt schon jetzt eine eigenständige Existenz. Zum festlichen Einstieg lugen wir erst mal bei w4.siemens.de/artsprogram/de/html/programm/musi/orpheus/ vorbei. Das Werk ist nämlich eine Koproduktion der Münchener Biennale und des Siemens Arts Program.
Als Ouvertüre bekommen wir einen jener Texte, die ich so liebe: „Das Projekt ‚Orpheus Kristall‘ bringt die neue Medienrealität des Internet mit der alten und klassischen Form der Oper zusammen“, heißt es, und: „Es vermisst den Raum zwischen den Medien, setzt sich der Spannung einer noch nicht überblickbaren neuen Realität aus und versucht sich in diesem Gefüge produktiv zu verhalten … Wie im Orpheus-Mythos ist auch im Cyberspace und in der Virtual Reality der Tod nicht wirklich … Die neue Technologie lässt den Tod noch mehr vergessen, die unerschöpflichen Möglichkeiten des Cyberspace geben den Internet-Nutzern das Gefühl von Unsterblichkeit. Erst der endgültige Abbruch beendet die selige Illusion.“ Auwauwau.
Wenn wir nun das Projekt selbst unter www.orpheuskristall.com/ aufrufen, erfahren wir, dass sich Oper und Website auf „das Gedächtnis des Rezipienten als natürlichen Speicher“ verlassen (so Komponist Manfred Stahnke). Es würden nur „Motive aufgenommen und neugeformt“ und dabei entstehe „eine Art Performance, wie sie Komponisten immer wieder anwandten, wenn sie künstlerisches Neuland betraten: Konzentration der Form, Verknappung der (Ton- und Bild-)Sprache, assoziative Verknüpfung von Fragmenten, in die der Betrachter seine Deutung der Zusammenhänge einliest (einlesen muss), weil sie nicht unabhängig von ihm existieren. Hören und Sehen sind gefordert und das Hören übernimmt dabei in der Gestaltung der Zeit und für die räumliche Suggestion eine dezent lenkende Funktion.“ Ojoijoi.
Los geht es: „Der Einstieg in den interaktiven Kosmos beginnt mit einer digitalen Erinnerung. Ein unscharfer Abdruck eines weiblichen Körpers schafft eine Verbindung zwischen dem Rückblick zum Mythos und der Projektion der sich öffnenden digitalen Welt – die Spur der „verlorenen Eurydike, die in eine virtuelle Welt führt …“ Huiuiui.
Tatsächlich huschen geometrische Felder über den Schirm, es trommelt, gelegentlich jault ein Sopran. Ein Cello spielt, eine Flöte, irgendwo wird immer geladen, dann taucht eine überbelichtete Dame auf, neigt sich uns zu … schreit kurz. Ist's Eurydike? „La silence va plus vite … Vermiss dich nicht … Formeln wandern … wir auch …“ Fünf Module sind zu bewältigen: „Momente des Körperlichen verbinden sich mit Textfragmenten, mit Sprache und Musik, Sinne und Verstand werden in ihrer Vernetzung herausgefordert …“ Sassasssass.
Es wabert, es lädt, es spratzelt, es tönt … „Orpheus und Eurydike ist der Mythos der unbedingten Liebe und der Mythos des Künstlers … Bei dem Versuch, Eurydike aus der Unterwelt zu sich heraufzuholen, verliert er jedoch nicht nur sie, sondern fast auch sich selbst …“ Wir haben uns … wir sind … verloren … in Modul zwei … ThoPampuch@aol.com
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