pampuchs tagebuch: Mein Dampfbildschirm
Endlich mal eine Netzadresse, die für Freude sorgt. Und dann noch da, wo man es gar nicht erwartet. Nicht zu glauben, aber www.bahn.de hat mich in den letzten Tagen glücklich gemacht. Das hat natürlich etwas mit dem zu tun, was man heute gerne „Fallhöhe“ nennt, was heißen will, dass es bei emotionalen Wallungen immer darauf ankommt, wo sie ihren Ausgang nehmen. In meinem Glücksfall sollte es deshalb vielleicht eher Steighöhe heißen. Ich habe sie nämlich ganz schön gehasst, die Bahn, mit ihren sauteuren Fahrkarten, ihren geschniegelten ICEs, die fast nur noch durch Tunnel oder Schneisen brausen und sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu Parterre-Jets umstylen wollen. Wer je in seiner Kindheit einmal mit der Eisenbahn gespielt hat oder früher mit den gemütlichen Tufftuffs für ein par Lire durch Italien gezuckelt ist, wird den ästhetischen und zwischenmenschlichen Verfall dieser Transportart in Deutschland immer wieder beklagen: unsozial, unökologisch und ungemütlich. Keine Fenster mehr, die man aufmachen könnte, keine Sitze mehr, die zusammenzuschieben wären. Keine fröhlichen Wägelchen mehr auf den Bahnsteigen, von denen aus Reiseproviant durchs Fenster gereicht wurde. Dafür unentwegt Erhöhung der Geschwindigkeit und der Tarife. Und dazu die Schreckensmeldungen der letzten Wochen, dass nun auch noch die Speisewagen abgeschafft werden sollen, die einzigen halbwegs erträglichen Oasen einer gewissen Reise-Rest-Kultur. Tempi passati. Doch wir wollen nicht greinen, wir schreiben hier schließlich der Zukunft zugewandt.
Jubeln wir also, dass Mehdorn und die Seinen, wenn sie uns schon mit ihren Intercitys unglücklich machen, wenigstens im Internet was auf die Beine stellen und eine schöne bunte www-Seite gebastelt haben. Mit viel „Spass, Spiel und Zeitvertreib“, einem „fesselnden Schienenleger-Spiel“ zum Beispiel, zwei Puzzles und zwei Bildschirmschonern. Die habe ich mir gleich runtergeladen, was mich viel Nerven und etwa die Zeit einer ICE- Bahnfahrt München – Nürnberg gekostet hat. Dafür werde ich jetzt immer Lokomotivführer, wenn mir mal zwei Minuten lang nichts einfällt. Der Bildschirm verwandelt sich dann nämlich in das Cockpit eines ICE, und ich fahre durch eine virtuelle Landschaft, die es locker mit der von den echten ICEs durchquerten aufnehmen kann. Mit Hilfe der Pfeiltasten bin ich bis auf 240 km/h gedonnert. So wollen sie uns ihren dummen Geschwindigkeitsrausch schmackhaft machen. Doch gemach, mit F 4 – da war ich wirklich gerührt – kann man auf derselben Strecke auch in das Führerhäuschen einer schönen alten Dampflok wechseln. Die macht nur 110 km/h, aber genau darum geht es ja. Das gute alte Rattern und Tuten, jetzt bekommen wir es wenigstens als Bildschirmschoner.
Natürlich ein blanker Witz, dass so was jetzt virtuell von eben dem Unternehmen angeboten wird, das real von allem Abschied nimmt, was Eisenbahnen liebenswert gemacht hat. Dennoch – und damit sind wir beim Serviceteil – gibt es noch einen weiteren Grund, warum mich bahn.de froh gemacht hat, und das ist „surf & rail“. Endlich eine Idee, die Bahnfahren zu vernünftigen Preisen wieder möglich macht. Zwar geht die Spontaneität etwas flöten, da man diese Online-Buchung spätestens eine Woche vor Abreise machen muss. Dafür aber kosten die Fahrkarten nur etwa ein Drittel des Normalpreises. Und man darf sich die Tickets sogar selbst ausdrucken. Bahn.de macht uns also nicht nur zu virtuellen Lokführern, sondern auch zu virtuellen Fahrkartenverkäufern. Die Zukunft der Bahn liegt im Netz. Wir warten auf eat & rail. Her mit den virtuellen Würstchen, Mehdorn! THOMAS PAMUCH
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