orte des wissens: Detektive bei der Arbeit
Ein Sensationsfund aus dem 9. Jahrhundert: Ganz plötzlich steht die Göttinger Arbeitsstelle für Papsturkundenforschung im Rampenlicht
Wer Passanten fragen würde, was sie über die Arbeitsstelle der Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen wissen, 1931 gegründet, dürfte in den meisten Fällen hören: nichts.
Das ist verständlich, denn die Arbeitsstelle ist winzig, befasst sich mit einer eher abgelegenen Facette der Mittelalterforschung, und ohne spezielle Sprachkenntnisse erschließt sich ihr hauptsächlich editorischer Mikrokosmos kaum. Aber so verständlich das ist, so schade ist es zugleich.
Jüngst allerdings ist ihr etwas gelungen, das die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich zog: Sie hat Alter und Inhalt eines Papyruspapiers identifiziert, das bis dato als Fragment einer griechischen Urkunde aus dem 4./5. Jahrhundert galt. Jetzt weiß man: Es ist der Schlussteil einer griechisch-lateinischen Urkunde Papst Stephans V. aus dem Jahr 891, die dem Frauenkloster Neuenheerse bei Paderborn seine Besitzungen und Rechte bestätigt.
1812 kam die Urkunde nach Göttingen. Dort kam es, vermutlich durch ihren schlechten Erhaltungszustand, zum Abriss des Fragments; der Hauptteil, der 1816 Göttingen wieder verließ, befindet sich heute in Münster.
„Wir haben eine paläografische Analyse vorgenommen, unter Einbindung italienischer Fachkollegen“, sagt Daniel Berger von der Akademie der Wissenschaften, parallel dazu Lehrbeauftragter am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen. „Aber ohne ein altes Foto, das den Münsteraner Teil noch in einem anderen Erhaltungszustand zeigt, hätten wir nicht erkannt, wozu das Fragment gehört.“
Das Schriftstück ist die einzige überlieferte päpstliche Urkunde aus Papyrus nördlich der Alpen. In ganz Europa existieren weniger als 30 davon. „Das Gesamtprojekt hat entsprechend des Wirkradius des mittelalterlichen Papsttums einen stark internationalen Charakter“, sagt Berger.
Die Arbeitsstelle in der niedersächsischen Universitätsstadt hat kein eigenes Forschungsteam, sondern die Arbeit wird dezentral durch ehrenamtliche Mitarbeiter an vielen Orten geleistet. „Das ist heute eher ein historischer Begriff“, sagt Jonas Maatsch der taz, Generalsekretär der Akademie, die derzeit mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft weiterführt, was vor fast 130 Jahren begann, durch den deutschen Historiker und Archivar Paul Fridolin Kehr und die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, deren Nachfolgerin die Akademie ist.
Für die Vollendung des Projekts, das laut Maatsch „alle Formen und Grenzen der heutigen Forschungslandschaft sprengt“, werden diese Mittel allerdings kaum reichen. Schließlich geht es darum, in ganz Europa nach verschollenen Dokumenten zu suchen, denn die Bestände der päpstlichen Register in Rom decken erst die Zeit nach 1198 ab.
Die Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, eine vom Land finanzierte, außeruniversitäre Forschungseinrichtung und „Gelehrtengesellschaft“ mit 150 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, interdisziplinärem Ansatz und geisteswissenschaftlichen Langzeitprojekten, hat selbst ein beachtliches Alter: 1751 wurde sie gegründet.
Auch in eigener Sache hat sie jüngst Geschichte aufgearbeitet: Ende 2023 hat sie eine Gedenktafel enthüllt, auf der die Mitglieder der Akademie stehen, die während des NS-Staatsterrors aus rassistischen und politischen Gründen ausgeschlossen wurden oder austraten. Spät, aber immerhin.
Wer das Göttinger Fragment selbst sehen will: Ab September ist es Teil der Ausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ des Diözesanmuseums Paderborn. Harff-Peter Schönherr
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