normalzeit: HELMUT HÖGE über Dauercamper
Kleine Brötchen backen
Autonome favorisieren Action-Grenzcamping mit antirassistischen Heringen – dieses Jahr in Straßburg, Jena, Hamburg und Cottbus. Ich habe dagegen eine Vorliebe für Dauercamper-Areale – nicht als Benutzer, sondern als Spanner. Diese Leidenschaft teile ich mit Susanne Klippel, die einen ganzen Stummfilm auf einem DDR-Zeltplatz drehte, den sie in den Westen schmuggelte und dort vertonte.
Heuer war bei mir nun der Zeltplatz am Eichhof – auf einer Halbinsel bei Feldberg gelegen – dran. Gleich daneben liegt das Fischerdorf Carwitz – ebenfalls auf einer Halbinsel. Hier lebte der Rowohlt-Mitarbeiter und -Autor Hans Fallada, der nach dem Krieg Bürgermeister von Carwitz wurde und vor allem in der DDR immer populär blieb. Heute lebt von seinem Ruhm das halbe Dorf: Es gibt ein Fallada-Museum, eine Fallade-Schule, Fallada-Radwege, -Straßen und -Bootsanleger. Gerade wird mit finanziellen Mitteln von Bund, Land und Gemeinde das „Freigebiet“ um das Hans-Fallada-Haus schön gemacht.
Im Aushang hängt der offene Brief eines Naturschützers, in dem er rät, dabei die Reste der Hecke aus Seidenpflanzen stehen zu lassen. Der Hobbyimker Fallada hatte sie einst für seine Bienen gepflanzt. Heute sei seine Seidenpflanzen-Hecke „das einzige Vorkommen in Mecklenburg-Vorpommern“. Für sich selbst brauchte der Schriftsteller eher harte Drogen und Alkohol. Und zu seinem Gesamtwerk gehören denn auch einige Sucht- und Knastromane. Er war ewig in Geldnot. Bereits die Hälfte dessen, was nun für die Renovierung seines Museums ausgegeben wird, hätte ihn bis zu seinem Lebensende 1947 mit Rauschgift versorgt. Und eine Menge schwacher Texte, die er nur zum Gelderwerb schrieb, wären ihm erspart geblieben. Sie alle werden nun nach und nach einem dankbaren Sommerfrischler-Publikum – während der „Hans-Fallada-Tage“ in Carwitz – serviert. „Ehret eure lebenden Dichter, denn sie werden lange tot sein!“ hatte bereits Gerhard Zwerenz dem Publikum 1986 empfohlen.
Zurück zum Zeltplatz bei Feldberg. Dort haben es sich gerade drei Ortspolizisten im Schatten der Anmeldungshütte des Platzwarts bequem gemacht. Plötzlich bekommen sie einen Anruf: „Am Ortsausgang nach Carwitz wurde ein Pkw von der Fahrbahn abgedrängt“. – „Wir kommen gleich“, antwortet einer der Polizisten und gibt seinen Standort durch: „Wir sind hier am Campingplatz und das dauert noch eine Weile, aber der kann ja nicht weg!“
Der Sturm hat dem Zeltplatz arg zugesetzt: Mehrere Zelte sind zerfetzt worden. Dafür gibt es nun jede Menge Kleinholz für die abendlichen Lagerfeuer. Die Dauercamper haben elektrisches Licht und Fernsehen. Die Holländer haben sogar einen eingezäunten kleinen Zwinger für ihre Hunde elektrisch illuminiert. „Rowdys“ lässt der Platzwart nicht aufs Gelände – und es muss immer genügend Freiraum zwischen den Zelten bleiben. Trotzdem gibt es manchmal Ärger – „zum Beispiel mit jungen Berliner Prolos“: wenn die zu laut und lange feiern. In Feldberg ist spätestens um zehn Uhr Ruhe. Dann plätschert nur noch der See, und die Lagerfeuer prasseln leise. An der Pferdewiese spielen noch einige Ehepaare beim Schein von Hochdruck-Spirituslampen Schach. Und zwischen vier winzigen runden Zelten diskutiert eine Gruppe amerikanischer Ladys leise über Jetlags. Die Nachtschwimmer haben derweil die Nacktbader abgelöst. Ein Haubentaucherpärchen ist noch immer auf Fischfang.
An der Bootsanlagestelle hocken acht Mädchen um eine Feuerstelle und backen sich kleine Brötchen, die sie an langen Stöcken über die Flamme halten. Dies ist der letzte Akt einer Kindergeburtstagsparty, die bereits mittags begann. Immer wieder sinken den Kleinsten aus Müdigkeit die Brötchen in die Glut, aber sie geben nicht klein bei.
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