nizza-vertrag abgelehnt: Den Iren sei Dank
Vielleicht muss man den Iren ja dankbar sein. Da ein Staat, der seinen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg den Milliarden der Europäischen Union verdankt, nun deren Reform die Zustimmung verweigert, lässt sich das grundsätzliche Problem der EU nicht länger totschweigen. Jedes Mitglied betrachtet sie als eine Institution, mit der sich die eigenen nationalen Interessen verfolgen lassen.
Kommentarvon SABINE HERRE
Als Entschuldigung für die irische Entscheidung kann nicht die niedrige Wahlbeteiligung herhalten. Und auch nicht die Tatsache, dass sich so viele verschiedene Gruppen gegen die EU-Reform zusammengetan haben. Entscheidend ist vielmehr, dass es den Befürwortern des Nizza-Vertrags nicht gelungen ist, die Iren von Bedeutung und Vorzügen des Vertrags zu überzeugen. Wohl, weil sie selbst nicht davon überzeugt waren.
Erinnern wir uns: Nach drei tage- und nächtelangen Verhandlungen unter Leitung des übermüdeten französischen Staatspräsidenten Chirac wurde eine Minireform der EU verabschiedet, die niemand glücklich machte. Die Probleme des Vertrags, die man genau kannte, wurden mit Rücksicht auf die deutsche rot-grüne Regierung und die französische Präsidentschaft totgeschwiegen. Allein um die Osterweiterung nicht zu gefährden, entschlossen sich viele Parlamentarier gerade der deutschen Grünen, dem missratenen Werk zuzustimmen.
Scheitert der Nizza-Vertrag an den Iren, wird zwar die EU-Osterweiterung weiter vertagt werden, doch vielleicht sind die Osteuropäer darüber nicht einmal allzu unglücklich. Denn auch in ihren Ländern sinkt die Zustimmung zur EU. Schließlich möchte man ja schon gern wissen, welcher Vereinigung man da eigentlich beitritt. Das Votum der Iren war nicht zuletzt gegen die Osteuropäer gerichtet.
Nach der Ablehnung des Nizza-Vertrags wird man nun einer ehrlichen Debatte über die Zukunft Europas nicht mehr ausweichen können. Und dabei wird nicht die Verfassung im Mittelpunkt von schöngeistigen Sonntagsreden stehen. Gestritten werden muss darüber, dass das reiche Frankreich Milliarden Euro Agrarsubventionen erhält. Dass Deutschland am meisten von der Öffnung der Ostgrenzen profitierte und seine Märkte nun kleinlich vom Wettbewerb ausschließen will. Im Zentrum muss die Frage stehen: Sind Schröder, Blair und Co. bereit, auf einen Teil ihrer Macht zu Gunsten eines EU-Präsidenten zu verzichten? Man sollte den Iren wirklich dankbar sein.
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