neue knackimode: SCHULUNG STATT KLAMOTTEN
Ob gestreifte Häftlingskleidung, Leuchtstoffanzüge oder Westen mit der Aufschrift „Ich bin ein geflohener Häftling“ – der Vorschlag aus Brandenburg, Gefangenen eine wie immer geartete „markante“ Anstaltskleidung zu verpassen, ist totaler Quatsch. Es mag sein, dass der eine oder andere Häftling die Feile fallen lässt, weil er Angst hat, draußen sofort erkannt zu werden. Es kann auch sein, dass Gefangene, die sich draußen nicht schnell genug umziehen, wieder eingefangen werden.
Doch letztendlich lenkt die Diskussion ab von der Realität in den zehn Brandenburger Gefängnissen. Die sind zum Teil nicht nur marode, sondern auch mit Bediensteten bestückt, die es mit ihrer Aufsichtspflicht nicht so genau nehmen. Über die Hälfte der Ausbrüche geht auf deren Schlampigkeit zurück. Das mag daran liegen, dass viele von ihnen schon zu DDR-Zeiten im Dienst waren und die Gefangenen damals parierten. Denn: Wo sollten die Häftlinge auch hin? Die Freiheit lockte außerhalb der DDR-Gefängnismauern bestimmt nicht.
Obwohl sich die Zeiten längst geändert haben, geht der Schlendrian weiter, gibt es Jahr für Jahr bilderbuchreife Ausbrüche mit Feilen und Bettlaken. Zur Erinnerung: Der ehemalige parteilose Justizminister Otto Bräutigam verlor fast seinen Posten, als 1998 der mutmaßliche Entführer Sergej Serow aus dem Untersuchungsgefängnis Potsdam floh. Er hatte sich vom Dach abgeseilt. Serow, der als sehr gefährlich galt, war als Hausarbeiter beschäftigt und konnte das gesamte Gebäude inspizieren. Zudem war seine Zelle 18 Stunden lang nicht kontrolliert worden. Gefasst wurde er schließlich – durch Hinweise aus der Bevölkerung und nicht durch eine auffällige Gefängniskluft.
Eine neue Kleiderordnung wäre nicht nur ein Rückfall in alte Zeiten, sondern auch eine Bankrotterklärung der Brandenburger Justiz. Die sollte ihr Personal endlich entsprechend schulen und die maroden Anstalten auf Vordermann bringen. Dann kann sie sich das Geld für neue Klamotten sparen.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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