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nebensachen aus buenos airesT-Shirt und Turnschuhe als Schutzkleidung im Parlament

Wenn Gnocchi zum Ziel des argentinischen Volkszorns werden

Federico V. hat einen gefährlichen Job. Er arbeitet im argentinischen Nationalkongress. Dabei würde es ihm schon reichen, dass damit sein Ansehen ruiniert ist. Denn spätestens seit den Unruhen vor einem Jahr, als Argentinien in 14 Tagen fünf verschiedene Präsidenten sah, gelten Politiker in dem Land als verrufene Verbrecher und Vaterlandsverräter. Ihre Mitarbeiter sind nichtsnutzige Strauchdiebe, im Landesjargon „Gnocchi“ genannt, die nur am Zahltag auf der Arbeit erscheinen, sich ansonsten am Bauch kratzen und ihr Gehalt durchbringen.

Federico V. ist einer der Gnocchi. Er kann inzwischen damit leben, so genannt zu werden. Bei den Dezemberunruhen im vergangenen Jahr war er auf der Straße, er hat mit tausenden anderen Argentiniern mindestens zwei Präsidenten gestürzt und nächtelang den Regierungspalast blockiert. Verändert hat sich für ihn heute vor allem eins: Er kann nicht mehr genau sagen, wann er abends von der Arbeit nach Hause kommt.

Täglich fällt es einer anderen Protestbewegung ein, den Kongress zu blockieren und niemanden rein und raus zu lassen. Das ist dann die Rache des Volkes an den Volksverrätern und ihren Gnocchi. Von Berufswegen hat Federico V. für die aufständischen Blockierer große Sympathien. Er arbeitet für einen linken Abgeordneten und unterstützt den unorthodoxen Straßenkampf. Aber manchmal will er einfach nur nach Hause.

Doch das geht nicht immer. Vergangenen Donnerstag zum Beispiel. Da waren es die betrogenen Sparer, die mit Schüsseln und Suppenkellen gegen den provisorischen Eisenzaun hämmerten. In einer reinen Routineaktion hatte die Polizei das hohe Haus abgeriegelt.

Federico V. wollte ins Kino. Gegen den Rat der Polizei streckte er seinen Kopf hinter dem Zaun hervor, um zu schauen, ob die Luft rein war und er sich unbemerkt unter die Leute mischen konnte. Er konnte nicht. Sofort flogen Eier und Tomaten: „Scheiß Gnocchi, geh arbeiten.“

Federico ging wieder in sein Büro, kochte Kaffee und las ein Buch. Ins Kino schaffte er es nicht mehr. Auch sah er sich gezwungen, seine Arbeitskleidung zu ändern. Auf den Mitarbeiterrängen des Parlaments trug er früher bei Sitzungen immer Anzug und Krawatte. Aber einmal hat ihn sein eleganter Aufzug auf dem Weg zum Parlament verraten. Nur knapp entkam er den protestierenden Stadtteilversammlungen. Als ihn die Meute erspähte, gierte sie: „Ein Abgeordneter, ein Abgeordneter, auf ihn, ein Abgeordneter.“ Wenige Schritte vor seinen Verfolgern erreichte er das rettende Tor.

Seitdem hat er sich einige Überlebensstrategien zurechtgelegt. Er trägt zu Sitzungen nur noch Turnschuhe und T-Shirt und versucht sein Büro zu verlassen, bevor es blockiert wird. Sollte aber das Volk doch in das hohe Haus stürmen, um alle, die drin sind, zu lynchen, weiß er auch schon, was er zu tun hat: „Dann stürze ich mich auf den nächstbesten Typen mit Anzug und Krawatte, haue ihn und brülle: Ein Abgeordneter, ein Abegeordneter, ich habe einen Abgeordneten.“ INGO MALCHER

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