modernes antiquariat: Ulf Miehes Kriminalroman „Ich habe noch einen Toten in Berlin“ von 1973
Leben den Filmenden
Wer kopiert wen? Die Literatur das Leben? Der Verbrecher den Kriminalroman? Ist der Autor am Ende doch nur ein verhinderter Täter und sein Buch der Traum vom Glück jenseits des Gesetzes? 1973 erschien „Ich hab noch einen Toten in Berlin“, der erste Kriminalroman des Schriftstellers und Regisseurs Ulf Miehe.
Die Anfangsszene spielt in einer Bank – drei Männer halten mit ihren Waffen Kunden und Angestellte in Schach. Eine unbedachte Bewegung, jemand schießt, ein Mann stirbt, Blut überall.
Alles Zelluloid. Der Film ist im Kasten, doch die Stimmung schlecht beim Regisseur Alex Gorski und seinem Drehbuchautor Benjamin. Das Budget wurde überzogen, die Produzenten sind erzürnt, Kritik allenthalben. So lassen sich keine großen Filme drehen. Wie weiter? Ein neuer Film mit einer überzeugenden realistischen Geschichte, die man nicht schon in amerikanischen und französischen Gangsterfilmen gesehen hat, ein Coup, der nur „ein wenig unmöglich“ erscheint. Regisseur und Autor fahren nach Westberlin. Dort schuldet der erfolgreiche Verbrecher Sparta Benjamin noch den Stoff für einen Film. Eine alte Freundschaft, einst beschrieb Benjamin in einer Geschichte das Verbrechen, das zu begehen Sparta im Begriff war. Sparta hat tatsächlich was für sie. Für ihn sei das Ding ein paar Nummern zu groß, zudem habe er das nicht mehr nötig. „Aber für einen Film – wie gemacht.“
Alle vierzehn Tage landen in Tegel eine Million Dollar in zwei Säcken, die Lohngelder für die in Berlin stationierten GIs. Zur Kaserne kommen sie in einem Transporter, begleitet von zwei Jeeps mit Militärpolizisten, auf der Strecke ein Bahnübergang mit Schranke. Und ein ewig langer Güterzug zur rechten Zeit, wie Gorski und Benjamin herausfinden. Während sie auf eine Zusage ihres Produzenten warten und ihnen das Geld ausgeht, entwerfen sie in immer schäbigeren Pensionen das Drehbuch: Zwei frustrierte Durchschnittstypen, ihr Coup und die Abwicklung. Die schöne Frau bleibt Intermezzo. „Wenn eine Frau auftaucht, weiß man immer gleich Bescheid.“
Stattdessen recherchieren sie das Authentische der Tat in einem grauen, winterlichen Berlin, in dem selbst das Kempinski wenig glamourös wirkt. Kaputte Typen allenthalben. Woher eine Waffe? Eine Eckkneipe in Schöneberg, eine Frage am Tresen, einige Scheine, eine Adresse. In einem verlassenen Fabrikgebäude in Kreuzberg verkauft ihnen ein Perser eine Pistole. Im Nebenzimmer Frau und Kind. Falsche Pässe bei einem Drucker in einem Kellergeschoss in der Kohlfurter Straße. Das Milieu bieder bis trist, Kohl- und Kohlegeruch.
Sparta warnt davor, Fiktion und Realität zu verwechseln, überwacht sie argwöhnisch und hofft auf eine inspirierende Idee. Am Ende ist einer tot, und zwei sitzen im Flugzeug nach Südamerika.
Zurück bleiben Tonbandaufnahmen und Notizen von Benjamin, woraus ein befreundeter Erzähler, durch eigene Nachforschungen ergänzt, dieses Buch verfasst, gespickt mit Zitaten und Anspielungen des Genres. Eine Erzählkonstruktion, die das fiktionale Spiel um Realität und Medienrealität auf die Spitze treibt. Dazu Bob Dylan, bereits im Motto singt er von den zurückgelassenen Toten, die man vergessen könne, weil sie einem sowieso nicht folgen. Ausstieg eines Autors. Großartig.
Der Roman, ursprünglich als Drehbuch konzipiert und 1976 unter dem Titel „Output“ (nicht von Miehe) verfilmt, stieß bei Erscheinen auch in den Feuilletons auf begeisterte Zustimmung und wurde in elf Sprachen übersetzt bei einer Gesamtauflage von fast 300.000 Exemplaren. Dem 1989 verstorbenen Autor war ein erfolgreicher deutscher Kriminalroman gelungen. Eigen, souverän und ein wenig unmöglich. CARSTEN WÜRMANN
Ulf Miehe: „Ich hab noch einen Toten in Berlin“. Roman, Piper Verlag, München 1973, vergriffen
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