Dritter Weltkrieg auf TikTok: Freshe Fits für die Front
Auf Tiktok trenden Videos, in denen junge Leute humoristisch mit den Krisen der Welt umgehen. Daraus spricht keine Gleichgültigkeit, sondern Ohnmacht.
Tiktok ist derzeit voll mit Videos, die mögliche Szenarien eines Dritten Weltkriegs durchspielen. Die Lage weltweit liefert den passenden Hintergrund: Im sogenannten Nahen Osten ist von Deeskalation keine Spur, in der Ukraine tobt weiterhin Krieg, Iran und USA geraten regelmäßig aneinander, und auch innenpolitisch gibt es in Deutschland gerade wenig Anlass für Heiterkeit. Also flüchtet man ins Internet. Dort wird reagiert, kommentiert, kompensiert – je nach Generation auf ganz eigene Weise. Nur den Hashtag #wwiii haben alle Memes gemein.
Millennials zeigen sich dabei gewohnt zynisch. Sie zählen auf, was sie schon alles durchgemacht haben: Bosnienkrieg, 9/11, zwei Wirtschaftskrisen, eine globale Pandemie und jetzt vielleicht noch einen Weltkrieg, alles vor dem 40. Geburtstag. Uff. Klingt wie ein makabrer Lebenslauf, wirkt aber eher wie eine resignierte Überlebensliste. Die Memes dazu: halb selbstbemitleidend, halb selbstironisch, ein bisschen abgerockt, typisch Millennial halt. Doch trotz drohender Apokalypse müssen sie – Iced Coffee oder Aperol Spritz schlürfend – kontrollieren, ob er die Story gesehen hat. So viel Zeit muss sein.
Gen Z geht mit der gefühlten Bedrohungslage anders um: visuell und hyperdigital. Sie zeigen ihre Fits (Outfits) für den Ernstfall: Y2K-Ästhetik trifft Camouflage, apokalyptisch casual kombiniert mit der bangen Frage, ob der Fast-Fahion-Anbieter Shein wohl trotz der Umstände pünktlich liefert. Auch die Sorge, ob man bei Kriegsausbruch eigentlich seine Fixkosten weiterzahlen muss, macht die Runde. Wer das wissen will, fragt natürlich ChatGPT oder macht direkt ein Meme draus.
Passend zur Stimmung gibt es auf Spotify eine „WW3-Playlist“ mit mittlerweile über 19.000 Downloads. Acht Stunden Soundtrack für den Untergang, inklusive Sias „Titanium“ und „Bang Bang“ von Nicki Minaj, Ariana Grande und Jessie J. Der verschollene Sommer und der aktuelle Dauerregen gibt allen, die bisher noch irgendwie mit guter Laune durch die erste Jahreshälfte gekommen sind, den Rest.
Natürlich kommt auch dieser Trend nicht unkritisiert davon. Die einen schimpfen über die Selbstmitleidskultur der 30- bis 40-Jährigen, die anderen über die vermeintliche Oberflächlichkeit und Abstumpfung der Gen Z. Dabei ist das alles weniger Gleichgültigkeit als Ohnmacht im Meme-Format.
Das Internet ist Zuflucht, Bühne, Ventil
Schon vor Wochen waberte mit dem Trend „Italian Brainrot“ eine Mischung aus kriegsinspirierter Ästhetik, KI-generiertem Unsinn und maximaler Dada-Stimmung durch die Feeds. Das ist nicht immer politisch, aber zumindest symptomatisch: Das Internet ist kein Aufenthaltsort, sondern Zuflucht, Bühne und Ventil. Besonders für junge Menschen, die mit dem aktuellen Zustand der Welt wenig zu tun haben, aber am stärksten davon betroffen sein werden. Manche hoffen, noch irgendwas retten zu können, andere versuchen einfach, nicht völlig durchzudrehen.
Was bleibt also? Schwarzer Humor. Und ein süßes bauchfreies Top in Camouflage. Wenn die Welt schon im Kriegschaos versinkt, soll niemand sagen, es habe keine Style-Inspo für den letzten Look gegeben!
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