matthias urbach über Nebenwirkungen: Nabelschnur in die Zukunft
Jahresrückblick: Alle Gelehrten reden über Biotechnik, doch keiner weiß, ob ich das Blut meines Sohnes einfrieren soll
„Es bleibt schwierig.“ Walter Giller
Was darf die Forschung? Über diese Frage ließ sich dieses Jahr vortrefflich beim Cocktail moralisieren. Es war das offizielle „Jahr der Lebenswissenschaften“ und das Feuilleton zankte lustvoll über die Medizin der Zukunft: über verbrauchende Embryonenforschung, menschliche Klone und ewiges Leben.
Die unterhaltsame Distanz zur Lebenswissenschaft schmolz für mich jäh zusammen, als ich das erste Mal von Dr. Eberhard F. Lampeter hörte. Meine hochschwangere Frau und ich, wir sitzen beim Infoabend in der Sankt-Joseph-Klinik in Berlin-Tempelhof und lauschen der Kinderärztin. „Wir spenden hier Nabelschnurblut an anonyme Blutbanken“, erzählt sie ganz nebenbei. „Aber wir konservieren es nicht für das jeweilige Kind – da wenden Sie sich bitte an private Firmen.“
Zum Beispiel an die von Herrn Lampeter. Denn der verkauft biologische Lebensversicherungen. Während alle Welt streitet, ob das neue Wunderheilmittel, die Stammzelle aus einem Embryo oder dem Ohr des Patienten entstehen kann und sollte, entdeckte er eine ganz neue Quelle. Er schöpft die Stammzellen aus Nabelschnurblut. Das friert er auf Wunsch ein in schönen bauchigen Aluminiumfässern bei minus 180 Grad. Eine lebenslange Kühlung kostet 3.103 Euro und 54 Cent. Arme Eltern können den Betrag in Raten abstottern.
Vorsichtige Nachfrage tags drauf im Geburtsvorbereitungskurs: „Das ist Geldschneiderei“, schimpft Hebamme Hannah auf ihrer Isomatte kniend. „Ich kann das nicht empfehlen.“ Doch bereits ein schlicht gefragtes „Warum?“ legt ihre ganze Technikfeindlichkeit bloß. „Was will man mit diesen Stammzellen schon groß anstellen?“ Wetten auf die Zukunft sind nicht ihr Ding.
Aber ich muss entscheiden: Bergen Stammzellen tatsächlich die Zukunft der Heilkunst? Darf ich die Chance verpassen? Mein Junior hat nur einmal im Leben eine Nabelschnur übrig.
Meine Frau lässt das alles kalt. „Was machst du dir nur für einen Kopf?“, summt sie mir tonlos beim Yoga zu. „Wir haben das Geld im Moment sowieso nicht übrig!“ Wie herzlos! „Dann leih ich mir eben was“, knurre ich zurück. Langsam dringe ich zur eigentlichen Frage der Lebenswissenschaft vor: Wie viel Gesundheit kann ich mir leisten?
Doch zunächst brauche ich mehr Informationen für mein Heilsinvestment. Als Erstes rufe ich einen Bundestagsabgeordneten an. Der sonst so gut informierte Mann muss passen. „Aber das Klonen ist wirklich ein Skandal.“ Ja, ja.
Also telefoniere ich Professoren durch. „Da kenne ich mich nicht so aus“, so stets dieselbe Antwort. „Aber es kann wohl nicht schaden.“ Wenn es konkret wird mit dem Lebenswissen, stellen sich die Experten tot.
Noch eineinhalb Wochen bis zum berechneten Geburtstermin. Die Nabelschnurkonservierung kommt mir inzwischen wie eine unglaubliche Aktienoption vor: Wenn der Kurs der Stammzellen wirklich stiege, hätte ich Zugriff auf ein Arsenal an lebensrettenden Ampullen. Und wie bei jeden heißen Tipp gibt es statt handfester Infos nur Gerüchte. Ein gutes Omen!
Aber wehe, der Kurs stürzt ab. Wenn sich alle Reparaturzellen irgendwann billigst aus Ohrenknorpel herstellen lassen, dann wird man mich und mein Fünfsternekühlfach belächeln.
Nachts plagen mich nun Träume: Mein Sohn ergreift seine Nabelschnur und schwebt daran empor. „Schmeiß das Geld nicht zum Fenster raus“, ruft er mir von oben zu: „Denk an mein Studium!“ Dann reißt die Schnur und er stürzt herunter. Überall Nabelschnurblut.
Sechs Tage vor dem errechneten Termin bleibt meine Frau entspannt und eins mit sich und dem Ungeborenen zu Hause, während ich nervös auf einer Biotech-Veranstaltung umherschleiche. Da erspähe ich Herrn Lampeter persönlich. Redselig belehrt er mich über Abstoßungsreaktion und die Vorzüge körpereigener Stammzellen. Und: Die Zelltherapie werde sicher große Fortschritte bringen. Das fürchte ich auch.
Also gebe ich mir einen Ruck und erkundige mich, ob sich der Nabelschnurtransport in seine Kühlfässer noch so kurzfristig organisieren lässt. Er gibt mir seine Karte. „Das müsste klappen, rufen Sie morgen an.“
Als ich schon in Gedanken die Verhandlungen über einen Kleinkredit durchgehe, fällt mein Blick auf einen Professor vom Paul-Ehrlich-Institut. Er ist zuständig für die behördliche Zulassung von Blutprodukten. Ein letztes Mal stelle ich meine Frage. Er schüttelte lässig den Kopf: „Ich würde mein Geld nicht dafür ausgeben.“ Noch gebe es kaum Anwendungen – und wenn die Biotechnik erst mal weiter sei, werde man wahrscheinlich nicht auf Nabelschnurblut angewiesen sein.
Am Ende trifft meine Frau die Entscheidung: Nur drei Stunden später setzen ihre Wehen ein – fünf Tage vor dem Termin. Im Kreißsaal der Kinderklinik Berlin-Neukölln lass ich mir noch mal Nabelschnur samt Plazenta zeigen. Für läppische 3.100 Euro hätte ich sie für meinen Sohn sichern können. Die Hebamme wirft beides routiniert in den Müll.
Fragen zu Nebenwirkungen? kolumne@taz.de
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