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london callingBürgermeisterwahlkampf kommt auf den Dober-Mops

BLAIR-AUGE, SEI WACHSAM

Londons U-Bahn, die „Tube“, wird gerne mit einem Blutkreislauf verglichen, der tagein, tagaus Millionen von Arbeitskörperchen durch die Gegend pumpt. Pump, pump. Räderquietschen, sonor-väterliche „Mind The Gap“-Warnung vom Tonband, stickige Luft, Ruß zwischen den Schienen, hölzerne Rolltreppenbeläge. Ich malte mir diesen Blutkreislauf entsprechend immer als den einer echten Pub-Nase mit Spaß am Leben aus. Schmauch, schluck, spautz.

Und das mache ich auch immer noch, obwohl es immer schwerer wird. Die stickige Luft nervt auf Dauer. Und noch mehr die neuen U-Bahnhöfe, auf der Jubilee Line zwischen Westminster und Millennium Dome. Vorher fiel schon auf, dass es nirgendwo in der Tube Mülleimer gibt – damit kein IRA-Geselle eine Bombe verstecken kann. Aber jetzt fehlen auch noch die Sitzplätze, der Boden glänzt, und von den Gleisen trennt jetzt eine Glaswand. Auch das sicher ganz vernünftig zur Verhinderung von Fahrgastzwischenfällen. Der pulsierende Blutkreislauf hat plötzlich mehr was von einer zwischen Schleusen und Überwachungskameras geregelten sanitären Durchspülung. „Busking“ (Schrammeln für Geld) ist verboten, deshalb stehen die Möchtegern-Lennons und -Gallaghers nun immer genau zwischen zwei Kameras oder in einem schmalen Durchgang.

Die Tube ist Hauptwahlkampfthema für die im Mai anstehenden Bürgermeisterwahlen. Ken Livingstone legte sich schon in den Achtzigern als Bürgermeister des Greater London Council mit Maggie Thatcher an, die daraufhin einfach seinen Job abschaffte – und nun ist er auch für Tony Blair eine Gefahr. Red Ken kandidiert als Unabhängiger und wurde damit automatisch aus der Labour Party ausgeschlossen. Dass es so weit kam, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er sich klar gegen die von New Labour angestrengte Privatisierung der Tube ausspricht – und damit viele LondonerInnen hinter sich weiß, die nur zu gut wissen, was die Privatisierung der britischen Eisenbahn für katastrophale Folgen hatte, von ständigen Verspätungen bis zum Paddington-Zugunglück.

Red Ken strahlt mit seinen beigen Kaufhausanzügen, den Krawatten mit Windmühlenmotiven und seinem zerknautschten Knuddelgrinsegesicht den Retro-Charme alter sozialistischer Street Credibility ab, so eine Art Kreuzung aus Willy Brandt, Gregor Gysi und dem jungen Cohn-Bendit. Er weiß Popstars wie Blur-Sänger Damon Albarn und Künstlerinnen wie Tracey Emin auf seiner Seite und wird in Umfragen teilweise jenseits der Fünfzigprozentmarke gesichtet. Währenddessen dümpelt Blairs Kandidat, Ex-Gesundheitsminister Frank Dobson, hoffnungslos bei zwanzig Prozent herum, man spricht in seinem Umkreis mittlerweile hinter vorgehaltener Hand nur noch von Schadensbegrenzung.

Steve Bell, der Karikaturist des linksliberalen Guardian, hat seinen Spaß an Dobson: Er zeigt ihn immer wieder als Schoßhund Blairs, als kleine, fette Kreuzung aus Mops und Dobermann, neuerdings ausgestattet mit gentechnologisch veränderten und vom Herrchen persönlich implantierten dicken Eiern respektive Balls. Dobsons hilfloser Versuch, Livingstone seinen Anti-New-Labour-Drive zu nehmen, geht nämlich inzwischen eindeutig in einen stumpf rechtspopulistischen, rüden Wahlkampfstil à la Rudy Giuliani über.

Wie der für New York den Zero-tolerance-Mann markiert, verspricht nun auch Dobson, Bettler, Obdachlose und andere Leute, die den Durchspülvorgang in der U-Bahn stören könnten, mit noch mehr Kontrolle in Schach zu halten. Dabei kommt jetzt schon auf 60 BritInnen eine Überwachungskamera, der höchste Schnitt weltweit. Und während Dobsons Wahlkampfmannschaft versucht, Livingstone als linksradikalen Beinaheterroristen hinzustellen, weil der in einem Interview mit dem Lifestylemagazin The Face seine Symphatie für die Anti-WTO-Demonstrationen in Seattle nicht verhehlte, sekundiert die rechte Boulevardpresse mit einer an Schärfe kaum zu überbietenden Anti-Asyl-Hetzkampagne. Mit Überschriften wie „Britannien hat genug“ (Sun) wurden nun – kaum nach der Medienkampagne um die Passagiere des nach London-Stansted entführten afghanischen Flugzeugs, die allesamt selbstverständlich Asylschleicher gewesen seien – den ganzen März durch eine Hand voll rumänischer Roma-Frauen zum Schreckgespenst einer Invasion von „Gypsies“ aus Osteuropa stilisiert, die sich mit den auf Londons Straßen erbettelten Pfund Sterling goldene Paläste in Transsylvanien bauen.

England boomt wirtschaftlich wie nie, aber anscheinend will der leibhaftige Deibel das zerstören: Ein Sun-Reporter ging so weit zu behaupten, eine Roma-Mutter habe ein Kind namens Lucifer. Das schlimmste Verbrechen der Roma-Frauen war, so schien es nach Lektüre der Tabloids, dass sie ihre Babys auf dem Arm tragen – als würden sie allein schon damit den Dolch ihrer Hinterhältigkeit tief in die offene Oh-wie-niedlich-Teletubby-Flanke der um Contenance bemühten Briten rammen. Nicht, dass man auf der Insel was gegen Kinder hat – mit rühriger Seligkeit wurde mitunter auf derselben Seite 1 von Madonna und ihrer zweiten Schwangerschaft berichtet: Unser Guy Ritchie, ein echter Lad unter den Regisseuren, hat also den Amerika-Popstar geschwängert, na, dann ist sie natürlich bei uns in London immigrierenderweise willkommen.

Ich kann gerade nicht anders, als eine kleine Verschwörungstheorie daraus zu stricken: Insbesondere Sun-Herausgeber Rupert Murdoch, bekanntlich alles andere als ein Europafreund, ist daran gelegen, die geplante Osterweiterung der EU als bevorstehende Invasion der Horden aus dem Osten hinzustellen (und damit nebenbei Dobsons Law-&-Order-Wahlkampf zu unterstützen). Gleichzeitig – was übrigens zu Bemühungen einiger Tory-Rechter passt, mit Großbritannien mittelfristig von der EU in das nordamerikanische Wirtschaftsbündnis zu wechseln – wird die mythische angloamerikanische Transatlantik-Pop-Paarung beschworen. Bye-bye, Miss American Pie, hello Mrs. Yorkshire-Pudding. JÖRG HEISER

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