liebeserklärung: Schokopizza
Unser Leben ist voller Widersprüche. Da ist es schön, wenn uns ein Produkt keine Wahl lässt und wir nur seufzen können: umami!
Der Kapitalismus webt eine Realität aus Widersprüchen um uns: Wir müssen arbeiten, um glücklich zu sein. Aber wir sind nicht glücklich, weil wir arbeiten. Doch wer nicht arbeitet, kann auch nicht glücklich sein, weil er ja keine Arbeit hat.
Auf der menschlichen Zunge gibt es fünf verschiedene Geschmacksrezeptoren: vorne an der Spitze schmecken wir Süßes, an den Seiten jeweils salzig und sauer, ganz hinten bitter und in der Mitte: umami. Der Begriff kommt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie „wohlschmeckend“. Man könnte sagen: Umami ist der Geschmack von Glutamat, und bei Glutamat klingelt das Belohnungssystem im Mittelhirn ganz laut – bei Kartoffelchips, bei Ketchup und Tiefkühlpizza. Die Neuronen feuern, Dopamin wird freigesetzt. Die ganze aufgeschobene Sehnsucht scheint nach zehn Stunden Lohnarbeit zwischen zwei Pappdeckeln, eingepackt in Plastikfolie, zu stecken.
Aber genau das ist ideologisch wiederum widersprüchlich. Ablenkung ist gut, aber wer glücklich sein will, muss auch an seinem Körper arbeiten, muss schlank, fit und gesund werden. Was machen also Lebensmittelkonzerne? Sie kleben grüne Etiketten auf Fertigprodukte und schmücken sie mit den Reizwörtern der Stunde. Biogemüsechips, Fertigbolognese aus vegetarischem Hack, Gummibärchen, mit Stevia gesüßt. Der Schlonz ist noch derselbe, die Umamirezeptoren ballern, aber das Gewissen schmatzt zufrieden.
In diesem Kontext klingt eine Meldung der Woche auf einmal ganz positiv. Dr. Oetker bringt im April eine neues Produkt auf den Markt: die Schokopizza „Pizza dolce al cioccolato“. Der Teig schmeckt nach Kakao, obendrauf dunkle Schokosoße, braune und weiße Schokostückchen. Eigentlich wie ein überdimensionierter tiefgekühlter Keks. Das Bild auf der Verpackung sieht fast schon obszön aus. Diese Pizza ist genau das, was sie verspricht: nicht gesund, nicht laktosefrei, nicht glutenfrei, nicht ungesüßt. Mit Konsum kann man zwar nicht den Kapitalismus überwinden. Aber essen ohne Gewissen (weder mit gutem noch mit schlechtem) ist wenigstens nicht widersprüchlich.
Amna Franzke
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