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kritisch gesehen: „die asche meines vaters“ am jungen schauspielhaus hamburgSterben ist bedeutend einfacher als erben

Sie wird auch „Generation Erben“ genannt: Die Alterskohorte zwischen 20 und 40 kann auf das Vermögen der schrulligen Großtante, der wohlhabenden Großeltern und der Eltern spekulieren, mit dem sich dann ein Haus bauen oder sich ein Sabbatical finanzieren lässt. Die Nachkriegsgeneration hinterlässt jedes Jahr laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung rund 400 Milliarden Euro. Die Sache ist bloß: Nur 50 Prozent erben überhaupt etwas. Für die andere bleiben bestenfalls die Schulden.

Die Ungleichverteilung der Vermögen und der damit verbundenen individuellen C02-Bilanz bilden die Basis des Stücks „Die Asche meines Vaters“ des Autorenkollektivs Soeren Voima. „Oder: plötzlich reich und unsympathisch“, präzisiert gleich der Untertitel. Klaus Schumacher hat das Werk am Jungen Schauspielhaus Hamburg inszeniert. Um ein drehbares Parkettrund herum (Bühne und Kostüme: Kathrin Plötzky) ist das Publikum platziert. Darauf erspielen sich sieben Dar­stel­le­r*in­nen die Geschichte einer gewissen Sasha, die in Hamburg-Wandsbek mit zwei gechillt bewegten Müttern (Christine Ochsenhofer, Alicja Rosinski) ohne den Vater aufwächst, zu dessen Alleinerbin sie völlig unverhofft wird. Mehrere 100 Millionen werden der 18-Jährigen im Testament zugesprochen.

Das birgt Verantwortung: Umgehend rückt die neue Verwandtschaft immer näher an die überforderte Sasha (Jara Bihler) heran und argumentiert für die eigene Tasche: Zu berücksichtigen wären da das biokosmetische Start-Up von Cousine Lilly (Alicja Rosinski), der Gerechtigkeitssinn von Billy (Helen Wend) und die verschuldete Firma von Onkel Pitt (Hermann Book). Auch bedürftig: Cousin Max (Nico-Alexander Wilhelm), der das Klima schützt. In ihn verliebt sich Fiete (Severin Mauchle), Saschas non-binärer Freund, während diese Crémant-Flaschen öffnet und über Investitionen nachdenkt. Viel von allem möglichen Aktuellen steckt in diesem Text: die Klimakrise, soziale Ungerechtigkeiten, die Immobilienblase, LGBTQ+, Familienmodelle.

Das wirkt streckenweise sehr pflichtbewusst zeitgemäß, wird aber von den sieben Dar­stel­le­r*in­nen in flink wechselnden Rollen und wohlüberlegten Kostümen charmant und fantasievoll weggespielt. Da werden Charaktere fein persifliert, mit ausgebreiteten Armen weite Strände imaginiert und hochpreisige Pullover spießig über der Brust verknotet. Manche Interaktion mit dem Publikum gerät ein wenig unentschieden, da wünschte man sich mehr Biss. Insgesamt aber ist die Inszenierung kritisch, humorvoll und nur wenig didaktisch: ein kluges, lautes Nachdenken über die Gegenwart Katrin Ullmann

Junges Schauspielhaus Hamburg, Wiesendamm, am 5. und 6. 10., 10.30 Uhr sowie am 7. und 9. 10., 19 Uhr

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