kommentar von Benno Schirrmeister über Niedersächsische Sicherheitspolitik: Gefahr, made in Germany
Kein Zeichen von Stärke ist es, widersprüchlich zu handeln. Und auf innere Unsicherheit, Ratlosigkeit verweist, wenn man aufs selbe Phänomen mal so, mal so reagiert, willkürlich und unberechenbar. Planlos. So sollte kein Staat handeln. So handeln aber Niedersachsens Sicherheitsbehörden, wenn sie es mit SympathisantInnen islamistischen Terrors zu tun bekommen.
Mal vergattern sie eine hochschwangere Libanesin, in Hildesheim zu bleiben, unter dem Vorwand, sie schlösse sich mit ihren vier Kindern nach der geplanten Ausreise nach Syrien dort den Terrormilizen des Daesh an. Und jetzt wieder setzen sie bei mutmaßlichen Gefährdern aufs nach Innenminister Boris Pistorius (SPD) „schärfste Schwert des Ausländerrechts“ – die Abschiebung in Herkunftsländer, die diese nie gesehen haben und in denen religiös inspirierte Milizen eine besondere Willkommenskultur für kampfeslustige Jungmänner praktizieren. Schlecht stehen indes die Chancen, dass sie, so ohne Sprach- und Landeskenntnisse, irgendwo anders unterkommen.
Dabei ist von zwei schlechten die Abschiebung der mutmaßlichen Gefährder die schlechtere Lösung: Klar, eine Frau auf den Verdacht hin, sie könnte in den Kampf ziehen, im Lande festzuhalten, das hat was von Kriegsrecht. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum ihre gerichtsfest dokumentierte Absicht die Verwaltung nicht dazu veranlasst hat, die Kleinen in Obhut fern der Familie zu nehmen: Nichts könnte ja das Wohl von Kindern mehr gefährden, als sie in den Krieg zu schleppen.
Wenn aber die zwei Göttinger Gefährder wirklich gefährlich sind, wird das Problem durch eine Abschiebung ja in keiner Weise bearbeitet. Es wird lediglich aus dem eigenen Einflussbereich expediert: Aus den Augen, aus dem Sinn. Als könnte uns egal sein, wenn sich die Jungs jetzt als Selbstmordattentäter in Nigeria verdingen, Atlas-Wanderer köpfen oder ihre Sprachkenntnisse als Online-Anwerber und -Instrukteure nutzen.
Schlecht ist die Maßnahme vor allem, weil sie wie die Gefahr auch die eigene Verantwortung verdrängt. Denn Terrorismus ist immer Produkt von Sozialisation: Die gescheiterte Integration in Deutschland geborener GefährderInnen hat offensichtlich nichts mit dem Libanon, mit Algerien oder Nigeria zu tun. Aber viel mit Deutschland: Hier ist es nicht geglückt, den Betreffenden ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln oder eine Zukunftsperspektive. Hier wurde ihr Groll auf den Westen gepflanzt. In Göttingen hat der sich zur Bedrohung ausgewachsen. Die Gefahr ist made in Germany. Wenn es das gibt, das Rettende auch.
Bericht
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