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kikkerballenPolitisch zu korrekt: Der Zorn über brutale Jugos

Rhetorische Sippenhaft

Ein politischer Treppenwitz? Ausgerechnet Slowenien ermöglicht Jugoslawien den Weg ins Viertelfinale. Durch ein schmuckloses 0:0 gegen Norwegen. Der so genannte Bruderkampf zwischen Slowenen und Jugoslawen war mehr vom verständlichen Ehrgeiz des abtrünnigen kleineren Bruders als von ernsthafter politischer Verbissenheit geprägt. Sonst wäre wohl Sinisa Mihajlovic’ verhängnisvoller Fehlpass des schäbigen Landesverrats geziehen worden. Schlimmer noch: Jener sträfliche Leichtsinn beim zwischenzeitlich so blamablen 0:3 hätte wahrscheinlich in Kolumbien eine spontane standrechtliche Liquidation auf dem Nebenplatz zur Folge gehabt.

Doch alle zwanghaften Politisierungsversuche gegenüber den jugoslawischen Kickern, wie man sie dieser Tage aus vielen echauffierten Mündern vernehmen kann, zeugen von wenig Fußballverstand. Die Anspielungen auf den Horrornamen des ständigen Torschützen Milosevic sind eher geschmacklos, die plötzlich festgestellten Brutalitäten im Spiel sind so wenig tschekistisch, wie Marc Wilmots’ verschwitzter Hauruckfußball päderastische Züge verrät. Und doch trat Reporter Reinhold Beckmann in der ziemlich anmaßenden Pose eines Pressesprechers der Kfor-Truppen auf, als er in der Schlussphase des heiß umkämpften 1:0-Erfolges gegen die Norweger davon sprach, die Jugos würden sich jetzt auch noch die wenigen Restsympathien verscherzen. Sie sind aber keine Mannschaft auf spielerischem Bewährungsurlaub, die für Regierungsverbrechen in rhetorische Sippenhaft genommen werden könnte. Im Gegenteil, ihr Vordringen in die nächste Runde möchte man eher als Fluch der bösen Uefa-Tat bezeichnen, das sportlich qualifizierte Team 1992 politisch disqualifiziert zu haben.

Erinnern wir uns an das nationalistische Auftreten der Kroaten in England 1996, als Trainer und Mannschaft in einem Protestbrief um die Länge der abgespielten Nationalhymne kämpften. Wenigstens sechzig Sekunden! Stürmerstar Boban hatte zuvor dem Militär 100.000 Dollar für „den Freiheitskampf meines Volkes“ gespendet. Gleichwohl änderte dies nichts daran, dass die Kroaten die Turniere in England und Frankreich spielerisch bereicherten. Allen voran Kunstschütze Davor Suker – er fehlt uns dieses Mal ! –, dessen Eltern sich in Osijek „ein Jahr im Keller“ vor serbischen Terroristen verstecken mussten.

Wo früher geschwelgt wurde, wird heute geschwafelt. Sie benähmen sich auf dem Rasen (schon drei Platzverweise!) wie in ihrer Region, lauten finstere postjugoslawische Analogien. Aber ernsthaft: Haben die Jugoslawen je anders gespielt? Ihren bislang größten Erfolg als WM-Vierte erzielten sie 1962 in Chile beim bis dato brutalsten Turnier aller Zeiten. Ihre Mischung aus Technik und Härte, Eleganz und Brutalität war ihr Markenzeichen seit den Zeiten der legendären Zebec, Sekularac oder Dzajic, Kaiser Franz Joseph, Tito oder Milosevic.

Dennoch verkörpert Jugoslawien 2000 ein neues und fürwahr ziemlich unsympathisches Moment, das sich freilich mit keiner Milosevic-Analogie verträgt: Es gibt kaum eine abgezocktere Legionärstruppe im gesamten Turnier als das Team der „Plavi“ (Blauen). Kein Spitzenteam geriert sich taktisch undisziplinierter, wirkt weniger wie ein integriertes Ensemble und kommt deshalb auch für den EM-Titel am wenigsten in Frage. Gemessen an der taktischen Disziplin herrscht bei den favorisierten Franzosen im Vergleich Kasernenstrenge.

Jugoslawien ist der geborene Viertelfinalist, auch wenn sie dieses Mal nicht auf Deutschland treffen werden. Wenn es ernst wurde, scheiterten sie immer an ihrer Anarchie und mangelnden Konsequenz. Erinnern wir uns: Bei der EM 1976 auf heimischem Terrain spielten die Jugos die deutschen Weltmeister zunächst an die Wand – Dzajic den hilflosen Vogts, Popivoda den dumpfen Dietz und ein Nobody namens Zungul den behäbigen Schwarzenbeck. Doch ihr Spiel war janusköpfig. Aus einem glanzvollen 2:0 wurde am Ende noch ein schmähliches 2:4. Die „slowenische Mithilfe“ ist also doch kein Treppenwitz. Denn die Jugos waren gegen Spanien näher am Sieg oder Remis als die Norweger zur gleichen Zeit an einem erlösenden Treffer.

NORBERT SEITZ

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