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kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Casting

Wer wollte nicht schon einmal darauf stehen, auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Generationen von Schauspielwütigen pilgern in die Theater dieser Welt, um entdeckt zu werden – und holen sich nur eine böse Abfuhr ab. Dann versuchen es die Adepten Stanislawskis und Strasbergs beim nächsten Casting. Wieder vergeblich. Sie landen schließlich in Taxis oder Fleischbratereien, im Dienstleistungsgewerbe jedenfalls: Die Zukunftsträume sind zeronnen, die Karriere im Eimer, der Selbstwert im negativen Bereich. Dieses Desaster ließe sich vermeiden, wüssten die jung Berufenen von einem Casting, bei dem sie garantiert genommen werden. GARANTIERT.

Ein paar Abstriche, nun ja, muss man schon machen. Die Bühne ist ziemlich klein, nur ein Quadratmeter groß. Und man schaut auch nicht in die Tiefe eines Theaterraums, sondern auf eine Grasnarbe. Um beim Casting-Sport zu reüssieren, kommt es nicht auf die gelungene Rezitation shakespearescher Zeilen und korrespondierender Darstellung an, es reicht eine Angelrute.

Nimmt der begabte Casting-Neuling ein solches Gerät zur Hand, ist es nur schwer, den Casting-Oldies wieder zu entkommen. Aufnahmeverträge liegen zur Unterschrift bereit. In den höchsten Tönen werden die Vorzüge der Sportart und deren Erfolgsaussichten geschildert. Warum sich dennoch die Alternative zum Casting im Schauspielhaus nicht durchsetzen wird, liegt am Zuspruch der Öffentlichkeit. Keiner will wirklich sehen, wie Menschen auf einem Fußballfeld mit Angelruten schwenken.

Noch einmal: Casting wird nicht am Ufer des Wannsees oder der Havel betrieben, Casting findet an Land statt. Der Sport hat sich von seinem Gegenstand gelöst wie der Homo sapiens von der Mammutjagd. Casting geht konsequent den Weg zivilisatorischen Fortschritts. Es domestiziert das Naturhafte, substituiert das Unwägbare mit dem Berechenbaren. Deswegen lachen die Casting-Sportler über Anachronisten, die ihre Rute ins Feuchte halten, um Lebewesen zu bergen, zu töten, zu verspeisen.

Man beruft sich auf die Tierschutzschlachtverordnung und den gesetzlich verankerten Schutz der Tiere und sagt folglich: „Mit Lebewesen treibt man keinen Sport.“ Seit einem Dutzend Jahren halten sie sich an diese Maxime. Nur der Deutsche Angel-Verband aus der DDR angelt noch sportlich, was die Casting-Leute vom Verband Deutscher Sportfischer spöttisch kommentieren. Vor allem in der Bemerkung „Setzkäscher“ sammelt sich all ihr Unmut.

Casting wird in neun Disziplinen betrieben, zum Beispiel Fliege-Ziel, Gewicht-Präzision oder Multi-Weit. Im Grunde geht es nur darum, am Boden liegende Scheiben zu treffen beziehungsweise mit dem Köder weit zu werfen. Mit einem 18-Gramm-Kunststoffblinker wurde auf einem Hochplateau in Südafrika bei hervorragender Thermik die Weite von 120 Metern erreicht.

In Berlin versuchen sich 300 Sportler in 89 Vereinen im Trockenangeln. Recht erfolgreich. Ein mehrfacher Weltmeister lernte auf den Wiesen Tempelhofs sein Handwerk, Michael Brösch. Der Installateur hat sogar das silberne Lorbeerblatt von Richard von Weizsäcker bekommen, weil er so viel gewonnen hat.

Die Deutschen konkurrieren weltweit mit den Tschechen und Polen, den Schweden und Norwegern. Sie hoffen sogar, olympisch zu werden. Seit 1954 sind sie in der Warteschleife. „Wir sind schon lange dran“, sagt ein Angelfreund. „Aber wir kriegen nur die Kuchenkrümel, nicht die Tortenstücke.“ Das ist sehr ungerecht. MARKUS VÖLKER

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