kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Indiaca
Beliebtes Mitbringsel von Fernreisen ist landestypischer Kleinkram. Aus Russland wird mit Vorliebe eine Matrioschka-Holzpuppe importiert, aus Mexiko ein Sombrero. Karlhans Krohn brachte aus Rio de Janeiro einen kleinen Lederbeutel mit. Sandgefüllt und mit Federn darauf sollte er fortan die Deutschen zum Spiel mit Beutel animieren, genauer gesagt: zum Indiaca. 1936 tat der Präsident des Deutschen Turn-Bundes das Spielgerät in den Koffer, doch selbst im Jahr 2001 hat der Lederbeutel den Durchbruch noch nicht geschafft, obwohl Herr Krohn das Spiel, das in Brasilien Peteca heißt und ein Federballspiel der Indianer war, in Indiaca vervolkstümelte. Und obwohl der Deutsche Sportbund den Indiaca 1972 zum Trimmgerät des Jahres kürte.
Immerhin wurde im letzten Jahr in Berlin ein Weltverband, die International Indiaca Association, gegründet, was ein wenig merkwürdig ist, da es nirgends einen nationalen Verband gibt. Aber durch den Zusammenschluss von Indiaca-Enthusiasten aus Brasilien und Deutschland, Estland, der Slowakei, Schweiz und Japan, wo bereits eine Million das Lederding pritscht, soll der Sport global ins Dorf gebracht werden.
Indiaca ist eine Abart des Volleyball. Es hat sich dessen Spielregeln zu Eigen gemacht. Zwei Mannschaften mit je fünf Spielern stehen beiderseits des Netzes und versuchen, den Federball, der mittlerweile mit Schaumstoff gefüllt ist, in der Luft zu halten. Geschlagen werden darf nur mit der Hand oder dem Unterarm. Nach zwei Gewinnsätzen ist Schluss.
Die Deutschen sind in der kleinen Indiaca-Welt recht erfolgreich. Bei den ersten Weltmeisterschaften vor zwei Wochen in Estland gewannen die Frauen und Männer beide Titel, jeweils gegen die Gastgeber. Luxemburg und Japan teilten sich die Medaillen, die ihnen die Deutschen ließen.
Bis an den Rand Berlins hat es Indiaca schon geschafft. Die Stadt selbst kann noch als Indiaca-frei bezeichnet werden, wenngleich es immer wieder Versuche gibt, den Sport einzuführen. Nimmermüde versucht sich die Frauenwartin des Berliner Turner-Bundes daran. Monika Theuner will bis zum Turnfest 2005 ein paar Mannschaften zusammenstellen. „Bisher habe ich aber wenig Erfolg gehabt“, gibt sie zu. „Manche sehen das nur als Aufwärmsache. Viele Vereine sind einfach nicht interessiert. Die spielen lieber ihr eigenes Ding weg.“ Dass es Indiaca in Berlin so schwer habe, habe wohl mit der Randlage im Kalten Krieg zu tun.
Daran glaubt auch Henner List. Der 19-Jährige spielt bei Grün-Weiß Großbeeren. Vor zwei Jahren haben sie begonnen. „Mittlerweile kommt schon ein Spiel zustande“, sagt er. Die Brandenburger Meisterschaft wird mit dem Mahlower SV 77 ausgetragen, dem zweiten Verein der Region. Beide Teams fahren im Oktober zu den Deutschen Meisterschaften nach Malterdingen, rechnen sich aber wenig Chancen aus, denn „die da unten“, List meint die Mannschaften im Süden Deutschlands, „machen ein richtig krasses Training“. Dreimal die Woche, und eine Jugendarbeit „wie im Fußball von den Minis an bis nach oben“.
Davon ist Großbeeren noch weit entfernt. Sie sind schon froh, wenn sich ein Freizeitteam erbarmt und gegen sie antritt. Nur 20 Leute spielen in Großbeeren Indiaca. In Mahlow sind es kaum mehr. Dabei sei es ganz leicht zu spielen, „viel leichter als Volleyball“. Der Abschlag funktioniere am besten „als Kugelstoßbewegung“. Außerdem: „Reflexe muss man haben.“ Und wer hat die nicht?
MARKUS VÖLKER
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