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islamistische terroristenDie gelassene Republik

Die Deutschen sind autoritätsfixiert, intolerant und latent fremdenfeindlich. So lautet bis heute der vorherrschende Befund, wenn Intellektuelle aus dem befreundeten Ausland und hiesige Linke über uns Teutonen räsonieren. Was in den Neunzigerjahren noch einen Teil der deutschen Wirklichkeit beschrieben hat, ist zum Klischee geronnen. Denn nicht mehr die Deutschen sind Europameister in Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, sondern Franzosen, Dänen, Holländer, Österreicher und Italiener.

Kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Mit ihrer ruhigen Reaktion auf gewaltbereite Islamistengruppen, auf die Terroranschläge vom 11. September und von Djerba beweist die bundesrepublikanische Gesellschaft demokratische Reife. Ein Blick in die Niederlande, die USA oder nach Großbritannien zeigt, dass dies nicht selbstverständlich ist. Anders als in Deutschland sind dort die Muslime seit Monaten Übergriffen ausgesetzt.

Was ist passiert? Warum gibt es in Deutschland bis heute keine den Siebzigerjahren vergleichbare Hysterie, obgleich die islamistischen Terroristen wie einst die von der RAF in unserer Nachbarschaft wohnen? Und warum reagiert die Öffentlichkeit differenzierter, als sie das noch während des Golfkriegs tat? Damals wurden Araber und Muslime häufig mit dem irakischen Diktator Sadam Hussein in eins gesetzt.

Zwei Erklärungen. Erstens: Die jahrzehntelangen Debatten über die Folgen des Völkischen in Deutschland und die breite, intensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus der Neunzigerjahre haben die Zivilgesellschaft gestärkt. Zehntausende haben sich bundesweit gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus engagiert und das öffentliche Klima verändert. Ihr Einfluss reicht bis hin zur rot-grünen Regierungspolitik. Selbst die Union unterscheidet heute fein säuberlich zwischen muslimischem Leben und Radikalislamismus. Das alles sind Erfahrungen, die unseren europäischen Nachbarn fehlen. Zu häufig haben sie Rechtsextremismus für eine deutsche Krankheit gehalten.

Zum Zweiten verhindert das deutsche Sozialstaatsmodell bislang die Entstehung von Parallelgesellschaften. Die soziale und ethnische Durchmischung der Nachbarschaften ist das beste Mittel gegen Fremdenangst und den häufig damit einhergehenden religiösen oder rassischen Hass. Auch in diesem Punkt möchte man als Teutone derzeit wenig von den USA oder von Großbritannien lernen.

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