■ intershop: Ein Mahnmal für alle
Der Fraktionschef der Berliner SPD, Klaus Böger, ist ein besonnener Mann. Und als solcher hat er sich bis jetzt wohlweislich davor gehütet, etwas über das geplante Holocaust-Mahnmal zu sagen. Aber nun meldet er sich zu Wort. Denn sein waches Auge hat es erfaßt: Der geplante Standort ist sehr, sehr groß. Mit feinem Gespür für den allgemeinen Nutzen hat er eine gute Idee gehabt: Ein Mahnmal allein ist zuwenig, da muß mehr Bausubstanz hin. Die Shoah- Stiftung von Hollywoodregisseur Steven Spielberg wäre ein guter Nachbar des Holocaust-Mahnmals. Und auch das Projekt des Hamburger Verlegers Thomas Ganske, die Holocaust-Bibliothek, könnte dort einziehen. Die Zentrale Gedenkstätte der ganzen Nation wird jedem Holocaust-Trauerwunsch sicherlich gerecht werden. Toll. Schade, daß man nicht früher auf die Idee gekommen ist.
Aber warum sich auf nur diese drei Einrichtungen beschränken? Es gibt so viel in diesem Land, an das gemahnt werden soll. Machen wir aus dem Vorschlag von Klaus Böger eine richtig großartige Vision! Etwas, was ganz Deutschland begeistern wird! Das Multiplex- Mahnmal! Platz ist genug da, und kreative Architekten werden auch die problematischsten Gedanken komfortabel unterbringen. Zum Beispiel eine Gedenkstsätte für den Aufstand des 17. Juni. Wo und in welcher Form es errichtet werden soll, darüber wird auch heftig gestritten. Warum nicht in der Nähe des Brandenburger Tors? Die damaligen Aufständischen werden sicherlich dagegen sein, denn die Ausrufung zum Generalstreik in der DDR 1953 fand nicht an diesem Ort statt. Aber sie sollten nicht so viele Umstände machen. Schließlich fand der Holocaust auch nicht hier statt.
Was zählt, ist nicht der Ort, sondern der Gedanke, oder? Auch die Mauergedenkstätte könnte dorthin umziehen. Dem Regierenden Bürgermeister Diepgen gefällt die jetzige in der Bernauer Straße sowieso nicht. Nun hätte er eine Möglichkeit, es besser zu machen. Mit einem seiner raren Geistesblitze würde er vielleicht sogar auf die Idee kommen, eine Mauer um den ganzen Mahnmalkomplex zu bauen. So hätten viele in Ost und West, was sie schon lange vermissen, und sie könnten in gebührender Demut des Schicksals der geteilten Nation gedenken. Die Liste der potentiellen Mieter des Sozialbau-Mahnmals ließe sich beliebig fortsetzen. Für jedes Mahnbedürfnis wird es eine Nische geben. Ach, wird das aber schön! Deutschland wird endlich ein Mahnmal haben, wie es sich auch Kanzler Schröder wünscht: ein Ort, wo die Leute gerne hingehen. Sergio di Fusco
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