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internationales literaturfestival berlinSachsen liegt in Iowa

Beim internationalen literaturfestival berlin traten Literaturstars und geflüchtete Dich­te­r:in­nen auf. Vier Eindrücke zwischen Megacities und Rennställen.

Zhang Yueran und Shuang Xuetao (von links) leben und arbeiten zusammen Foto: Bernhard Ludewig

Aufstieg und Ausstieg in China

Es ist sehr amerikalastig, das Programm des diesjährigen internationalen literaturfestivals berlin. Den sturmumtobten Norden nimmt man sorgenvoll in den Blick, doch auch der Süden des Kontinents ist literarisch stark vertreten. Die Grenzen dazwischen, die Außenkanten der Nationalstaaten, erfahren etwa bei Javier Zamora Beachtung, der sich in „Solito. A Memoir“ an seinen Weg von El Salvador in die USA als 9-Jähriger erinnert.

Man bekommt, und das ist das Gute an diesem nun zum 25. Mal stattfindenden Festival, Eindrücke von Literaturen weltweit, die mitunter noch gar nicht ins Deutsche übersetzt wurden. So gibt an einem Abend das Schriftstellerpaar Zhang Yueran und Shuang Xuetao Einblick in ihr literarisches Zusammenleben in der Megacity Peking. Zhang und Shuang schreiben meist über einsame, moderne Menschen, wie Moderatorin Katharina Borchardt herausstellt.

Wer die ganze Zeit am Handy hänge, brauche eben echten Menschen nicht mehr zu begegnen, sagt Shuang. Zhang, deren Roman „Schwanentage“ dieser Tage auf Deutsch erscheint, macht auf eine Entwicklung aufmerksam, die ebenfalls zur Vereinsamung der Menschen geführt habe. Die Familie sei geschrumpft, sodass sie statt eines Netzes mittlerweile einer Schnur gleiche, sagt sie. Durch die Ein-Kind-Politik, die in China bis 2016 galt, ist das Konzept von Tanten und Cousinen zumindest bei Städtern quasi nicht mehr existent.

Das Gespräch auf der Bühne spielt sich weitestgehend in unpolitischen Sphären ab. Doch schon die Biografien der Au­to­r:in­nen lassen Rückschlüsse auf die rasante Entwicklung zu, die die Volksrepublik in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat. Seine Eltern seien Fabrikarbeiter gewesen, sagt Shuang, und hatten stets Wert darauf gelegt, dass er durch Bildung zu Erfolg komme. Seine Aufstiegsstory folgt dem Rags-to-Riches-Regelwerk, doch ein Happy-End fand sie eher außerhalb des kapitalistischen Räderwerks. Shuang studierte Jura, arbeitete zehn Jahre lang in einer Bank, bevor er den Ausstieg schaffte – mithilfe der Literatur. Noch als Bankangestellter schrieb er seinen ersten Roman, der den ersten Platz beim taiwanischen China Times Fiction Award erzielte.Julia Hubernagel

Dem grünen Fähnchen folgen

Vorweg schwebt ein knallgrünes Fähnchen. Es gehört zu einem Guide, der eine Besuchergruppe durch das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung führt wie die Touri-Gruppen am Brandenburger Tor. Wandellesung heißt das Konzept, bei dem die Zuschauenden statt an einem Ort zwischen vier verschiedenen Räumen wechseln.

Nur mit Wandeln hat es leider recht wenig zu tun. Gelesen wird mal in einer Bibliothek – keine romantisch-historische, sondern eher die Sorte graue Stadtbibliothek – oder in einem tristen Konferenzraum. Der „Raum der Stille“ sticht jedoch heraus. Es riecht nach Holz, warmes Licht und Ruhe strahlt die Besuchenden an. Einen Ort wie diesen hätten alle Lesungen verdient.

Insgesamt sieben Ly­ri­ke­r:in­nen aus aller Welt sind zu Gast. Was sie verbindet, sind ihre Geschichten über das Vermissen der Heimat, das Ankommen in der Fremde, aber auch das Zurückkehren. Mal sind sie traurig, mal wütend, mal melancholisch. Herausstechen tun vor allem die Gedichte des „The Poetry Project“. Junge Menschen zeigen ihre intimen Gefühle zu ihren Fluchtgeschichten in der Poesie. Auch wenn die Originale für die meisten Anwesenden unverständlich sein mögen, transportieren sie dennoch ein Gefühl, das sich in den darauffolgenden von Selin Dörtkardeş vorgetragenen Übersetzungen kristallisiert.

In diesen Momenten klingt das raue ch und zischende tz des Ukrainischen in Mariia Kaziuns „Die orangene Stadt“ nach der Beklemmung durch die anhaltende Gefahr des Krieges. Die vollen Klänge und langen Ms des Arabisch tragen das kindlich Spielerische, mit denen Ali Alzaeem sein „Zu Hause“ beschreibt, wohingegen das schnelle Persisch in „Du“ eine Wut trägt, die Yasser Niksadas Verzweiflung über das Unwillkommensein verdeutlicht. Merle Zils

Das neue Amerika

Noch bevor die Diskussion zum Thema „USA unter Trump 2.0“ auf der Bühne beginnt, geht ein protestierendes Raunen durch den großen Saal des Hauses der Berliner Festspiele. Die Programmleiterin eröffnet mit der Bemerkung, Donald Trump habe Kamala Harris bei der Wahl im vergangenen Jahr „mit überraschend großem Vorsprung“ geschlagen. Das stimme doch nicht, flüstern einige im Publikum. So groß sei der Vorsprung nun wirklich nicht gewesen.

Offenbar wollen einige Zuhörer betonen, dass Trumps zweiter Wahlsieg knapp war. Denn daran knüpft sich die Hoffnung, Trump sei nur ein Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte – ein vorübergehendes Phänomen, nach dem das andere, das „gute Amerika“ wieder triumphieren werde.

Dass diese Hoffnung trügt, machen alle drei Podiumsgäste – die Schriftstellerin Jamaica Kincaid, der Historiker William Hitchcock und die Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert – schnell deutlich. Dass es dieses „gute Amerika“ für viele US-Bürger nie gegeben hat – diesen Hinweis überlässt der Abend dann aber wieder mal der einzigen schwarzen Teilnehmerin in der Runde, Jamaica Kincaid.

Beatrice Faßbender, die Moderatorin, stellt die erste Frage: Wie frei fühlen sich die Podiumsteilnehmer unter der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump? Hitchcock antwortet als Erster. Es sei ein „Drama“, das alle US-Bürger durchlebten. Er, als weißer, männlicher Akademiker, gehöre eigentlich zu den freiesten Menschen im Land – doch selbst für ihn gelte diese Selbstverständlichkeit nicht mehr.Kolbert ergänzt, sie habe persönlich zwar noch keine Einschränkungen erlebt, doch Trumps Drohungen gegen die Medien seien allgegenwärtig. Viele lebten in ständiger Anspannung, als stünde das Schlimmste noch bevor.

Dann spricht Kincaid. Sie zögert, stimmt ihren Kollegen zu, auch sie erkenne dieses Amerika nicht wieder – und tastet sich weiter vor, bis sie schließlich klar auf den Punkt kommt. Sie habe sich gefragt, ob das alles wirklich so neu und schockierend sei. Ob Afroamerikaner das genauso empfinden würden. Verstöße gegen Bürgerrechte und Gesetze – das sei für schwarze Amerikaner schließlich nichts Neues. Vielleicht, fährt Kincaid fort, erlebe das Land gerade wirklich eine tiefgreifende Veränderung. Menschen, die nicht schwarz, aber liberal seien, würden zu Schwarzen. Und vielleicht hörten sie dann auf, so alarmiert zu sein, und lernten, mit dieser Realität zu leben.

Die drei weißen Podiumsteilnehmer lächeln kurz – und gehen zur nächsten Frage über. Verena Harzer

Auf vergessene Pferde setzen

Spätestens seit der literarischen Moderne hat der Pferdesport als Sujet eine gewisse Konjunktur. Ob Ernest Hemingway als hungernder Zeitungskorrespondent im Pariser Exil, Charles Bukowski als gleichermaßen mittelloser Tunichtgut in „Factotum“ oder Hunter S. Thompson beim Kentucky Derby. Auf eine Weise haben Jockeys, die Rennbahn und vor allem das Wettbüro viel mit der Existenz als Schrift­stel­le­r*in gemein. Schreiben ist wie Wetten ein hoffnungslos spekulativer Akt und doch: Am Renntag ist man nur einen Tipp vom großen Geld entfernt und es trennt einen wie als Au­to­r*in nur ein wahrer Orakelspruch vom Ende der Armut.

Beim Internationalen Literaturfestival Berlin sprachen Kathryn Scanlan und Clemens Meyer über Scanlans neuen Roman „Boxenstart“, der sich in kurzen Vignetten mit den harten Realitäten des Reitsports auseinandersetzt. Scanlan beschäftigt sich mit dem Innenleben eines Milieus, das abseits dekadenter Hutmoden des verkommenen Jet-Sets tatsächlich geprägt ist von Härte, ökonomischer Not und zur Schau gestellter Männlichkeit – aber wie in vielen wirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaften auch von großer Solidarität und unter Rauheit verborgener Zärtlichkeit.

Drei Jahre hat sich Scanlan dazu mit Sonia getroffen, einer „Horsewoman“, die sich ein halbes Leben in dieser Männerdomäne behauptet und der Autorin in stundenlangen Interviews Einblicke in eine beinahe vergessene Welt gewährt hat.

Es ist eine Welt von Gestern, die sich in den endlosen Weiten Iowas abspielt, die sich wie bei Bruce Springsteen in der „Darkness on the Edge of Town“ gegen den Lauf der Zeit stemmt. Es ist die Welt von John Steinbeck, Denis Johnson und John Fante.

Meyer, ehemals selbst Besitzer eines Renngauls, der charmant auf sächsischem Englisch durch den Abend führt und mit seinem leicht schwankenden Boxergang immer selbst ein wenig an eine Bukowski-Figur erinnert, outet sich als leidenschaftlicher Fan Scanlans, nennt den Text gar mehrfach „Lightning in a Bottle“.

Schließlich ist es die selbe Welt, die auch Meyer selbst in seinen Romanen beschwört: Randständige Gestalten, von der Gesellschaft ausgespuckte Überlebenskünstler*innen, die die Nacht bevölkern, verloren im Vakuum der Nachwendejahre, den Kriegen des 20. Jahrhunderts oder der spätkapitalistischen Gegenwart. Man kann Meyers Sachsen leicht in Scanlans Iowa wiederfinden und auch Meyers Sound hallt durch die klangvolle Übersetzung Jan Karstens.

Im Zuge jüngster Debatten um Preise und wer sie zu gewinnen hat, tut es gut, Meyer frei von kulturpessimistischer Selbstbezogenheit über gute Geschichten anderer Au­to­r*in­nen reden zu hören – und endlich den Namen seines leider verunglückten eigenen Rennpferds zu erfahren: Proust. Yannic Walter

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