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innenministerkonferenzGegen Erstarrung und Routine

Die NPD darf sich freuen. So viel Aufmerksamkeit, wie ihr in diesen Wochen von Medien und Politik entgegengebracht wird, könnte eine rechte Demonstration in Berlin, sei es am Ort des geplanten Holocaust-Mahnmals oder am Brandenburger Tor, kaum erzielen. Und nun sollen rechte Aufmärsche, die die Würde solcher herausragenden Orte beschädigen, verhindert werden können. Bundesinnenminister Otto Schily erhielt von den Innenministern der Länder den Auftrag, eine Gesetzesvorlage dafür zu erarbeiten. Schon jetzt ist abzusehen, dass die rot-grüne Koalition in dieser Frage vor einer Belastungsprobe steht. Die grüne Fraktion hat sich einstimmig gegen eine Verschärfung des Demonstrationsrechts ausgesprochen. Sie verweist darauf, dass auch das Bundesverfassungsgericht in früherer Rechtsprechung die Demonstrationsfreiheit als hohes Gut eingestuft hat.

Kommentarvon SEVERIN WEILAND

Die SPD ist tief gespalten. Man darf gepannt sein, wie der Konflikt gelöst wird. Über allen juristischen Feinheiten, die nun angestrengt werden, um die Vorlage zu erstellen, schwebt weiterhin die zentrale Frage, ob eine 0,8-Prozent-Partei eine Gesetzesänderung wert ist. Was wäre gewonnen, wenn Neonazis nicht mehr am Brandenburger Tor oder am nahe gelegenen Holocaust-Denkmal demonstrieren dürften? Sicher, CNN und BBC würden kaum weltweit Berichte ausstrahlen, wenn eine neonazistische Ersatzkundgebung nur in einem Berliner Vorort stattfinden würde.

Kann es aber primär darum gehen? Das Verfassungsgericht hat in früheren Zeiten auch davon gesprochen, dass das Versammlungsrecht geeignet ist, „den politischen Betrieb vor Erstarrung und geschäftiger Routine zu bewahren“. Genau das aber würde ein eingeschränktes Demonstrationsrecht an bestimmten Plätzen suggerieren: Wo keine Neonazis mehr aufmarschieren können, scheint die Sache nur noch halb so schlimm. Gerade das Gegenteil ist aber richtig. Die Inanspruchnahme von Orten wie des Holocaust-Mahnmals durch die Leugner und Verharmloser ist eine Aufforderung an die Gesellschaft, und zwar an die Bürger und ihre politischen Vertreter, dass sie eben nicht „in geschäftiger Routine“ verharren dürfen. Anderthalb Minuten weltweit übertragener Bilder von Neonazis am Brandenburger Tor sind zu ertragen. Wenn, ja wenn zugleich – wie jetzt bei der angekündigten Gegenkundgebung in Berlin – ein breites Bündnis zur Gegenwehr bereit ist.

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