in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über den FC St. Pauli
RAUBMORD UNTER DER DUSCHE
Der beste Fußballsprechchor von allen feiert nicht meine Lieblingsmannschaft, und das spricht natürlich erst recht für ihn. Manchmal kommt er mir gerade so in den Sinn, wenn ich durch die Wohnung laufe, ich spreche ihn vor mich hin und muss darüber ziemlich kichern. Besonders lustig ist er als Ein-Mann-Sprechchor morgens unter der Dusche: „Wir kommen aus dem Norden / Wir rauben und morden / Wir waschen uns nie / St. Pauliii“.
Ziemlicher Unsinn das, aber kann sich überhaupt noch jemand an den FC St. Pauli erinnern? Der Klub stand mal für ungewöhnlich schlichte Bolzerei, die zwischenzeitlich sogar bundesligatauglich war. In den Reihen der Braun-Weißen wurden Spieler wie Dieter „Schleudertrauma“ Schlindwein resozialisiert, die ohne die Möglichkeit einer wöchentlichen Jagd auf die Spieler gegnerischer Mannschaften womöglich auf die schiefe Bahn geraten wären. Der FC St. Pauli öffnete mit Leonardo Manzi dem deutschen Publikum auch die Augen für die bis dahin unvorstellbare Möglichkeit, dass es Brasilianer gibt, die nicht kicken können, bevor Borussia Dortmund bewies, dass man dafür auch noch Millionen bezahlen kann.
Neben diesen äußerst flüchtigen Fußnoten zur Fußballgeschichte revolutionierten die Anhänger des Klubs vor allem aber die Etikette auf den Rängen. Die meisten St.-Pauli-Fans hatten zwar genauso konfuse Vorstellungen von Politik wie die Anhänger anderer Vereine auch, aber die ungleich sympathischeren. Deren bezauberndste Ausprägung habe ich leider nicht selbst erlebt, aber nie werde ich die Geschichte vergessen, dass ein St.-Pauli-Fan meiner Freundin Katrin erklärte, warum er denn wie die Mehrzahl seiner Glaubensbrüder gerade mit dem irisch-katholischen Celtic FC aus Glasgow sympathisierte. „Weil die auch Anti-Royalisten sind“, war die enthusiastische Begründung, wobei es den jungen Mann kaum irritierte, dass der letzte deutsche Monarch das Land vor gut acht Jahrzehnten auf Nimmerwiedersehen verlassen hat. Ansonsten sympathisierten viele St.-Pauli-Fans mit Hausbesetzungen, Antirassismus, der Legalisierung von Haschisch, Arsch vollsaufen und gruselig schlechtem Punk-Rock.
Mancher Leser wird an dieser Stelle fragen, was denn diese ollen Kamellen jetzt sollen, die doch schon vor Jahren bis zum Abwinken bejubelt worden sind, während paulianische Insider einwenden dürften, dass die guten alten Zeiten doch längst vorbei und alles nicht mehr so wie früher sei. Was aber genau der Punkt ist. Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt, spitzt sich in der Nähe der Reeperbahn die Situation bedrohlich zu. Die Mannschaft ist so schlecht, wie man es nicht mal am Millerntor erahnen konnte, und wäre wahrscheinlich schon längst ganz am Ende der Zweiten Liga, wenn sie nicht wenigstens diesen zwar leicht miesepetrigen, aber wenigstens voll kompetenten Trainer Reimann hätte. Geld ist auch keins mehr da, weil dem Fluch-und-Segen-Präsident Weisener langsam Puste und Laune zum Verjubeln desselben ausgehen, derweil der Aufsichtsrat des Klub bespitzelt wird, um dessen Opposition zu brechen. Der Umbau des schrottreifen Stadions kommt auch nicht von der Stelle, und jetzt macht sich auch noch der kongeniale Sponsor davon, eine Whiskey-Firma, weil der Klub nicht mehr oft genug im Fernsehen ist.
Wahrscheinlich gibt es noch einen Haufen von Unter- und Nebenkrisen, die unter meiner Dusche noch nicht angekommen sind. Jedenfalls sieht es ganz schön finster aus, weshalb hier zur Rettung des FC St. Pauli aufgerufen sei. Erstens vor sich selbst, und zweitens können wohl nur noch übergeordnete Stellen helfen. Nützlich könnte dabei der schicke neue Kulturstaatsminister unseres Landes sein, schließlich ist hier Kulturerbe in Gefahr. Ach ja, und prima gedichtet wird am Millerntor eben auch.
Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber
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