heute in hamburg: „Wieder einmal vergessen“
Zählspaziergang „Barrieren zählen“ in Ottensen, Treffen am Altonale- Kunstcontainer, 15 Uhr
Interview Tjade Brinkmann
taz: Frau Helke, nehmen Sie uns gedanklich einmal mit nach Ottensen: Was sind Barrieren, auf die Menschen mit Behinderung dort stoßen?
Ines Helke: Nehmen wir Blinde oder Menschen mit Sehbehinderung. Ihnen fehlen Leitsysteme wie zum Beispiel akustische Signale zur Orientierung. Oder als anderes Beispiel Menschen mit Rollstuhl oder Gehwagen. Sie sind angewiesen auf entsprechende Rampen. Für elektronische Rollstühle wären zudem Ladestationen wichtig.
Sie sind von Geburt an hörbehindert. Auf welche Barrieren stoßen Sie?
Für Träger von Hörgeräten ist induktives Hören wichtig, damit sie akustisch optimal hören und verstehen können …
… das ist eine Technologie, die Tonsignale so ausstrahlt, dass Hörgeräte sie störungsarm wiedergeben können …
Genau, das Symbol für induktives Hören ist jedoch nirgends zu sehen. Außerdem wäre es toll, wenn Menschen in Ottensen ein paar Gebärden könnten, zum Beispiel so klassische Wörter wie „Danke“ oder „Hallo“.
Was machen Sie anders als Leute, die nicht beeinträchtigt sind?
Wenn ich ins Kino gehe, schaue ich zuerst, wo es Filme mit Untertiteln gibt und ob das Kino eine Induktionsschleife hat, damit ich mich akustisch mit dem Hörgerät anschließen kann. Im Museum schaue ich, ob Führungen mit Gebärdensprache angeboten werden. Insgesamt bin ich in vieler Hinsicht auf schriftliche Kommunikation angewiesen.
Das heißt, es gibt Möglichkeiten, sich im Vorhinein über Barrieren zu informieren?
Für Barrierefreiheit und Zugänglichkeit fehlen oft die Informationen oder Symbole. Das Bewusstsein dafür ist einfach noch nicht in der Breite angekommen.
Ines Helke
50, ist hörbehindert. Sie setzt sich für Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesell-schaft ein.
Wie steht es in Deutschland generell um die Barrierefreiheit für Gehörlose?
In Zeiten von Corona waren viele Informationen nicht in Gebärdensprache verfügbar. Gehörlose wurden von Anfang an wieder einmal vergessen – dabei wird Gebärdensprache in der UN-Behindertenkonvention aufgelistet und ist ein Grundrecht. Die barrierefreie Kommunikation muss in vielen Alltagssituation immer wieder erkämpft werden, ob beim Arzt oder auf der Arbeit.
Wo sehen Sie besonderen Nachholbedarf?
An vielen Stellen, aber besonders in der Kultur. Es wäre wünschenswert, dass Menschen mit und ohne Behinderung hier stärker zusammenarbeiten. Davon profitieren beide Seiten. Gerade Musik und Kunst sollten für Vielfalt stehen.
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