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heute in hamburg„Eine unfassbare Brutalität“

„Berlin – Brest: ein Klangteppich aus Erinnerungen.“ Performance und Diskussion: 19 Uhr, Körber-Stiftung, Kehrwieder 12. Anmeldung zur Präsenzveranstaltung: www.koerber-stiftung.de. Auch als Livesstream

Interview Petra Schellen

taz: Frau Woidelko, Sie moderieren heute einen Abend namens „Klangteppich aus Erinnerung“. Was ist gemeint?

Gabriele Woidelko: Es geht um Erinnerungen von Erwachsenen, die 1941 als Kinder den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die damalige Sowjetunion erlebten. Es ist weniger ein Abend über den Zweiten Weltkrieg als über die Komplexität von Erinnerungen. Darüber, was Erinnerungen, mit denen Menschen jahrzehntelang leben müssen, mit ihnen machen.

Trotzdem zunächst die Fakten: Es geht um NS-Vernichtungslager unter anderem in Belarus, die lange ein weißer Fleck in unserer Erinnerungskultur waren. Warum eigentlich?

Zumindest öffentlich war das Gedenken an die deutschen Verbrechen in Belarus und anderen Ländern der Ex-Sowjetunion viele Jahre nicht präsent. Es gab auch kein Bewusstsein für die unglaublichen Opferzahlen, die der deutsche Überfall auf die Sowjetunion gefordert hat. Allein Belarus hat ein Drittel seiner Bevölkerung verloren.

Was ist zum Beispiel in Maly Trostinez bei Minsk passiert?

Die Menschen – darunter viele HamburgerInnen – wurden in Zügen dorthin transportiert, in den Wald getrieben, und dann gab es Massenerschießungen. Zwischen 1942 und 1944 haben die Deutschen dort ungefähr 60.000 Menschen ermordet.

Warum wird dieser Verbrechen hierzulande so zögerlich gedacht?

Das hat einerseits mit der mentalen Landkarte zu tun, die wir als Gesellschaft im Kopf haben. Ich glaube, dass viele Deutsche erst im August 2020, als die Proteste gegen Lukaschenko begannen, verstanden haben, dass Belarus gar nicht weit weg ist und dass es dort eine Demokratiebewegung gibt. Bis dato galt Belarus vielen als Enklave, als letzte Diktatur Europas.

Die mit uns nichts zu tun hat.

So ungefähr. Entsprechend gering war die Bereitschaft, sich mit der historischen Verantwortung auch diesem Land gegenüber zu befassen. Zumal die Dimension der Verbrechen unglaublich war. Es war eine so unfassbare Brutalität, mit der SS und Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung vorgingen, dass die Abwehrhaltung, sich damit zu befassen, entsprechend groß war.

Auch unter HistorikerInnen?

Foto: Körber-Stiftung

Gabriele Woidelko

53, Historikerin und Slawistin, leitet seit 2018 bei der Körber- Stiftung den Bereich Geschichte und Politik.

Nein. Es gibt seit Jahren bilaterale Zusammenarbeit sowohl zwischen HistorikerInnen als auch zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Ohne deren Vorarbeit wäre 2018 die Eröffnung der Gedenkstätte Maly Trostinez 2 durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wohl nicht möglich gewesen.

Auch in der Ex-Sowjetunion begann das Gedenken spät. Woran lag das?

Daran, dass es der Regierung um sowjetische Opfer insgesamt ging. Deshalb gab es kein explizites Gedenken an JüdInnen als Opfer eines rassistischen Massenmords. Auch ein gewisses Maß an Antisemitismus mag eine Rolle gespielt haben.

Im Zentrum des heutigen Abends steht Jochen Langners Hörspiel: „Ein paar Dutzend Worte. Reise in einen fast vergessenen Krieg“. Worum geht es da?

Es basiert auf ZeitzeugInnenberichten, die die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch gesammelt hat: Aufzeichnungen von Gesprächen, die sie mit heute Erwachsenen führte, die als Kinder den deutschen Überfall erlebten. Die gesehen haben, wie ihre Mütter misshandelt, vergewaltigt, für immer abgeführt wurden. Die den Rest ihres Lebens mit dieser Erinnerung leben müssen. Jochen Langner hat auf Grundlage dieser Texte ein Hörspiel entwickelt, das SchauspielerInnen mit belarussischen, ukrainischen und kongolesischen Wurzeln sprechen, die eigene Erfahrungen mit Krieg und Gewalt haben. Das Stück wirft also einerseits ein Schlaglicht auf die Vergangenheit. Andererseits stellt es ganz universell die Frage: Was heißt es, mit Erfahrungen von Gewalt und Entwurzelung, mit Traumata leben zu müssen?

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