piwik no script img

heute in hamburg„Die Situation hat sich zugespitzt“

Vortrag und Diskussion „Fluch und Segen von Homeoffice in Zeiten von Corona“:Betahaus, Eifflerstraße 43, 19 Uhr, mit Anmeldung oder im Livestream

Interview Deborah Kircheis

taz: Frau Goldschmidt, kann Homeoffice eine Chance für die Gleichstellung der Geschlechter sein?

Sandra Goldschmidt: Ja, aber es birgt auch Gefahren. Frauen profitieren davon, wenn beispielsweise Fahrtstrecken entfallen und sie die gewonnene Zeit in andere Dinge investieren können. Manches lässt sich von zu Hause einfach besser koordinieren. Wenn aber, wie in den letzten Monaten, parallel dazu Kinder zu Hause betreut werden müssen, ist das Arbeiten im Homeoffice eher eine Hürde.

Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, wie sich Homeoffice auf Männer und Frauen auswirken kann?

Grundsätzlich wollen wir geschlechtsspezifische Zuschreibungen vermeiden, aber gerade während der Coronazeit waren Männer eher die, die sich zu einer festen Zeit in ihr Arbeitszimmer eingeschlossen haben, um ungestört zu sein. Und Frauen haben gearbeitet, während sie sich beispielsweise gleichzeitig um die Kinder gekümmert haben. Der Mann hat sich wie in seinem Büro verhalten, nur war er eben zu Hause.

Wie sieht die Situation in Hamburg aus?

Wir hatten mit einigen Frauen direkten Kontakt in der Beratung. Eine Geschichte ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Eine Frau hat während ihrer Arbeit die Kinder beim Homeschooling betreut. Ihre Arbeitgeberin wies sie darauf hin, dass sie im Homeoffice genauso viel leisten müsste wie im Büro und kürzte ihre Stunden. Vielen fiel es schwer, sich zu Hause zu organisieren. Frauen, die nicht familiär gebunden sind, haben dagegen zum Teil berichtet, dass sie ihren Alltag flexibler gestalten konnten.

Vor der Pandemie waren es die Frauen, die mehr unbezahlte Arbeit geleistet haben. Hat sich das während der Pandemie geändert?

Foto: Kay Herschelmann

Sandra Goldschmidt 44, stellv.Bezirksleiterin bei Ver.di Hamburg, zuständig für Frauen und Gleichstellung.

Ja, die Situation hat sich zugespitzt. Ein Großteil der Care-Arbeit landet bei Frauen. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass Wissenschaftlerinnen während der letzten Monate weniger Publikationen veröffentlicht haben als vor der Pandemie, Wissenschaftler hingegen deutlich mehr.

Welche Forderungen stellen Sie an den Senat, um die Situationen von Frauen weiterhin zu verbessern?

Die Coronazeit hat uns in der Gleichberechtigung zurückgeworfen und der Senat muss sich Gedanken machen, wie er die Gleichberechtigungslücke wieder schließen kann. Wir fordern feste Quoten für Vorstände, Leitungspositionen oder Aufsichtsräte. Darüber hinaus hat das Gleichstellungsgesetz noch deutliche Lücken. Es geht davon aus, dass Männer und Frauen bereits gleichgestellt wären und missachtet die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu Unrecht. Da müssen wir unbedingt nochmal ran.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen