heute in hamburg: „Alle Uiguren unter Pauschalverdacht“
„Auf dem Weg zum ,besseren‘ Menschen. Totale Überwachung in China“ Vortrag und Diskussion: Senatszelt auf dem Gänsemarkt, 18 Uhr
Interview: Philipp Effenberger
taz: Herr Delius, wie sieht der „bessere“ Mensch für den chinesischen Staat aus?
Ulrich Delius: Es ist ein kontrollierter, gläserner Mensch, von dem man wissen will, wo er sich gerade befindet, wie er zur Partei steht und wie er in Zukunft handeln wird.
Welche Mittel werden zur Überwachung eingesetzt?
Es handelt sich um ein Versuchslabor der High-Tech-Industrie Chinas, in dem Großkonzerne wie Huawei Software und Hardware entwickeln und zum Einsatz bringen. Vor fünf Jahren verwendete man noch Kameras vor Moscheen, um herauszufinden, wie viele Leute hineingehen. Heute hingegen weiß man genau wer eine Moschee betritt, weil man in den letzten zwei Jahren unglaublich viele Daten von allen Uiguren gesammelt hat. Sensible Daten über die Identität der gefilmten Personen sowie Informationen über Familienangehörige im Ausland oder Gefängnissen können innerhalb von Sekunden von den Sicherheitsbehörden abgerufen werden.
Richtet sich die Überwachung speziell gegen die Uiguren?
Die Überwachung richtet sich momentan gegen die Minderheiten der muslimischen Uiguren und muslimischen Kasachen in der Region Xinjiang. Wir gehen davon aus, dass diese Region ein Testlabor für die gesamte Volksrepublik ist. Die Fahrzeuge von Uiguren müssen beispielsweise mit GPS ausgestattet sein. Falls sich solche Methoden umfassender Überwachung in der Region bewähren, könnten diese auf ganz China ausgeweitet werden.
Was befürchtet die chinesische Regierung?
Ulrich Delius, 59, ist seit 2017 Direktor der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ in Göttingen, bei der er vorher als Afrika- und Asienreferent tätig war.
Sie fürchtet öffentliche Proteste und Kontrollverlust. Da diese Bevölkerungsgruppen nicht über die herkömmlichen Methoden unterwandert und gesteuert werden konnten, nutzt der Staat nun modernste Technologie. Die offizielle Begründung sind Terrorismusbekämpfung, womit alle Uiguren unter den Pauschalverdacht gestellt werden, Terrorismus zu unterstützen.
Bedrohen diese Technologien auch Menschen außerhalb Chinas?
Wir brauchen ein anderes Verständnis von Überwachungstechnologie. Die technischen Geräte, die wir kaufen, kommen zum Großteil aus China. Wenn wir als Menschenrechtler Telefonkonferenzen führen, wollen wir nicht, dass Verfolgerstaaten über Satellitentechnik darauf zugreifen können. Cyberattacken auf Menschenrechtsorganisationen sind Realität und eine Kampfansage an die Internetfreiheit.
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