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heute in hamburg„Das ist eine Bedrohung von rechts“

Foto: Peter Garten

Miriam Rürup, 45, leitet seit 2012 das Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Sie hat Geschichte, Soziologie und Europäische Ethnologie studiert.

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Rürup, müssen Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst haben?

Miriam Rürup: Ich würde die Debatte um Antisemitismus, die derzeit geführt wird, mit etwas mehr Gelassenheit sehen und unterscheiden zwischen den Regionen: Wie ich aus Beratungsstellen in einigen ostdeutschen Bundesländern höre, ist es durchaus so, dass diejenigen, die dort offen gegen Antisemitismus sprechen, danach bedroht werden – ob sie nun Jüdinnen und Juden sind oder nicht. Das ist eindeutig eine Bedrohung von rechts. Daneben gibt es möglicherweise eine Zunahme des religiösen Mobbings an Schulen: Jugendliche benutzen „Jude“ als Schimpfwort, ähnlich wie es auch rechtsextreme Fußballfans in Stadien verwenden. Und es gibt diejenigen, die möglicherweise klar erkennbar durch die Stadt laufen, mit Kippa oder gar Schläfenlocken. Je nachdem, wo, bekommen sie auch mal eine Anfeindung zu hören. Insgesamt aber, würde ich sagen, muss man als Jude oder Jüdin keine Angst haben. Ich selbst habe auch keine Angst.

Ein beliebte Erzählung geht so: Ein geläutertes Deutschland hat 2015 lauter muslimische Judenfeinde reingelassen – und nun ist er dahin, unser schöner Konsens. Wie viel davon stimmt?

Ich finde die Rede vom importierten Antisemitismus höchst gefährlich. Das ist eine Entlastungsstrategie für die Deutschen, die sich dann wohlfühlen können in ihrem Aufarbeitungsstolz; darin, dass sie gelernt haben, wie man sich richtig verhält. Dass die eingewanderten Muslime nun den Antisemitismus aufleben lassen, ist nicht zu beobachten. Weit über 90 Prozent der antisemitischen Taten hierzulande kommen aus einem rechtsextremen Hintergrund. Wir müssen uns eigentlich nur mit der AfD beschäftigen und dann sehen wir, dass es da ein Antisemitismus-Problem an ganz anderer Stelle gibt.

Diskussion „Neuer Antisemitismus – alte Vorurteile?“: 19 Uhr, Bucerius Law School, Helmut Schmidt Auditorium; Eintritt frei, Anmeldung erbeten unter: www.zeit-stiftung.de/anmeldung/zeit-stiftung-aktuell

Sehen Sie eine Verwandtschaft zwischen antisemitischer Rede und dem, was heute gerne über „die Muslime“ gesagt wird?

Beides speist sich aus einer fremdenfeindlichen, rassistischen oder, noch weiter gefasst, menschenfeindlichen Grundhaltung. Und das ist es, was wir angehen müssen. Deswegen habe ich auch meine Probleme damit, dass derzeit vor allem über Antisemitismus gesprochen wird, aber nicht in vergleichbarem Maße darüber, welche anderen Rassismen es gibt. Ich würde sogar soweit gehen: Man müsste eher die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken, statt überall nach Antisemitismusbeauftragten zu rufen.

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