piwik no script img

heute in hamburg„Rechte Partisanen sind Popkultur“

Andreas Kahrs, 37, hat in Polen studiert. Der Historiker forscht zur extremen Rechten in Mittelost-europa.

Interview Tobias Scharnagl

taz: Gewalt, Glatze, Hakenkreuz – Polens Fußballfans haben einen üblen Ruf. Welche Nazisymbole haben Sie zuletzt in polnischen Stadien gesehen?

Andreas Kahrs: Gar keine. Das ist ja das Bemerkenswerte! Keine SS-Rune, kein Hakenkreuz. Früher war der polnische Fußball dafür bekannt, heute haben Hooligans und Ul­tras neue Helden – aber auch die Familienväter im Stadion.

Wer sind diese Helden?

Antikommunistische Partisanen, die „verstoßenen Soldaten“. Kämpfer, die von 1942 bis 1947 den Sowjets und den polnischen Kommunisten Widerstand leisteten – und dann, unter den kommunistischen Herrschern, vergessen werden sollten. Heute leben diese „Helden“ wieder auf.

Hakenkreuze sind out, rechte Partisanen in?

Ja. Nicht nur im Stadion. Sie werden gefeiert: in den Zeitungen, im Kino, im Hip-Hop. Partisanen sind Popkultur! Und die Fußballfans waren die Wegbereiter.

Wie kam das?

Vor der Europameisterschaft 2012 in Polen gerieten die Vereine unter Druck. Die damalige Regierung von Donald Tusk wollte Ruhe in den Stadien, wenn die ganze Welt zusieht. Die Fans entdeckten die Partisanen für sich und sahen sich im Widerstand gegen die Regierung in deren Tradition. Die jetzige Regierung, damals in der Opposition, fand das super. So leisteten die Fans einer staatlichen Geschichtspolitik Vorschub – ohne Zwang. So wirkmächtig wie wahrscheinlich nirgendwo sonst in der Welt.

Wo ist das Problem?

Teile der Fans sind noch immer rassistisch und faschistisch. So wie die meisten der nationalistischen Partisanen auch für ein ethnisch reines Polen kämpften. Viele waren Kriegsverbrecher und Antisemiten, ermordeten Weißrussen und Ukrainer, griffen jüdische Überlebende an, denen sie Kollaboration mit den Kommunisten vorwarfen. Außerdem gab es kein Kollektiv „verstoßener Soldaten“, dazu werden sie heute erst gemacht.

Gibt es eine Gegenbewegung?

Nein. Auf die Partisanen können sich alle einigen: die Fans, die Vereine, die Regierung, der Familienvater im Stadion. Die Rechte organisiert seit Jahren „Unabhängigkeitsmärsche“; die Forderung: Polen muss wieder unabhängig werden! Als Feindbild muss die EU herhalten. Dieses Denken ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Vortrag: „Jenseits der Klischees: Die Fußballszene in Polen als Akteur der polnischen Geschichts­­politik“, 19 Uhr, Fanräume im Millerntor-stadion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen