heute in hamburg: „Der Friesenhof war nichts Besonderes“
Wolfgang Dudda, 60, ist Vorsitzender der Piratenpartei Schleswig-Holstein. 2012 bis 2017 saß er für die Piraten im Landtag.
Interview: Gernot Knödler
Herr Dudda, Vor einem Jahr hat der Kieler Landtag den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum Friesenhof vorgelegt: Wo muss man den Friesenhof einordnen in der Geschichte der Kinderheime der Nachkriegszeit?
Wolfgang Dudda: Der ist gar nicht besonders einzuordnen, weil das leider ja der Standard war und noch heute ist. Es ist nichts Besonderes, was im Friesenhof passiert ist, es ist nur besonders, dass es herausgekommen ist.
Was ist denn dort geschehen?
Die Verstöße gegen das Kindeswohl, die Körperverletzungen, die militärischen Übungen, die Post- und Telefonzensur – alles, was dort passiert ist, war nichts Besonderes, sondern gängig. Es wurde geduldet, teilweise sogar vertraglich mit der Heimaufsicht vereinbart.
Hat sich durch den Ausschuss etwas geändert?
Es wurde vereinbart, dass das Sozialgesetzbuch acht dahingehend verändert wird, dass in Pflegeheimen unvermutete Kontrollen gemacht werden können. Begleitend zum Untersuchungsausschuss gab es außerdem den Runden Tisch Heimerziehung. Dabei ist bemerkenswerterweise festgestellt worden, dass die Kinder in Schleswig-Holstein zu selten heimatnah untergebracht werden.
Hat die schleswig-holsteinische Landesregierung Konsequenzen gezogen?
Sie hat die Planstellen für die Heimaufsicht verdreifacht. Es gibt jetzt feste Prüfrhythmen und tatsächlich eine Verbesserung der Kontrollintensität. Wobei das Gesetz aber immer noch Erscheinungen möglich macht wie die in Dörping, wo jemand sich als Heilerzieher ausgegeben hat. Es wurde festgestellt, dass er die Ausbildung gar nicht hat, sondern gelernter Dachdecker ist. Trotzdem darf er kaufmännisch betrachtet eine solche Einrichtung betreiben. Das halte ich für unerträglich.
Wieso kommt immer wieder die Diskussion über geschlossene Heime auf, die wesentlich strikter als ein Heim wie der Friesenhof sind?
Wir haben Kinder und Jugendliche mit einem erheblichen Betreuungsbedarf. Diese ganz wenigen Kinder, deren Anzahl sich im Promillebereich bewegt, werden immer wieder dazu benutzt, um eine flächendeckende geschlossene Unterbringung zu begründen. Das ist eine widerliche Diskussion insofern, als eine Handvoll von Kindern, an denen sich die Gesellschaft ohnehin schon versündigt hat, dann nochmal hergenommen wird, um zu begründen, dass alle anderen eingesperrt werden können.
„Wenn Du nicht brav bist, kommst Du ins Heim – eine Zeitreise durch 70 Jahre Heimgeschichte“, 9-20 Uhr, Patriotische Gesellschaft, Trostbrücke 6
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