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heute in hamburg„Bei Protesten Handbremse anziehen“

Foto: Ulrich Dahl

Simon Teune, Jahrgang 1976, ist Soziologe an der Technischen Universität Berlin und Mitbegründer des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.

taz: Herr Teune, sollten die Medien bei Gewalt wegschauen?

Simon Teune: Das würde weder ihrem Auftrag noch ihrer Produktionslogik entsprechen. Wir haben in Deutschland eine stark befriedete Protestkultur. Brennende Autos und Steinwürfe auf Polizeibeamte kommen relativ selten vor, deshalb ist die Reaktion darauf sehr heftig. Es gibt ein starkes Bedürfnis, über solche Ereignisse nicht nur zu berichten, sondern diese auch zu kommentieren. Konfrontationen mit der Polizei wird der politische Gehalt abgesprochen. Sie gelten als Zivilisationsbruch.

Und in anderen Ländern?

In Griechenland oder Frankreich etwa sind Auseinandersetzungen zwischen Demons­trierenden und Polizist*innen eher an der Tagesordnung. Sie werden deshalb ganz anders wahrgenommen.

Gibt es in Deutschland kein Gleichgewicht in der Berichterstattung über Gewalt und friedlichen Protest?

Nein. Sobald Polizisten verletzt werden oder es Sachbeschädigungen gibt, wird nur noch darüber berichtet, sodass ein kleiner Teil der Demonstrierenden, für den das Teil des politischen Kalküls ist, das ganze Bild eines Protestes beherrscht. In Hamburg ist auf der Strecke geblieben, dass gegen den G20-Gipfel die größte Demonstration seit Jahrzehnten auf der Straße war. Langfristig hat die Gewalt bei Gipfelprotesten auch einen Nebeneffekt, der das Gegenteil bewirkt.Inwiefern?

Sie hat die Gipfel zu Medienereignissen gemacht, zu denen sich Tausende Journalist*innen akkreditieren. Die Redaktionen geben diesen Ereignissen viel Platz, der auch mit hintergründigen Artikeln gefüllt wird. Das ist ein Grund, warum Globalisierungskritik zum Teil in den Mainstream gelangt ist.

Ist es aber nicht normal, mehr über etwas zu berichten, das explodiert ?

Doch. Journalist*innen heben das Außergewöhnliche und Spektakuläre hervor. Wenn es um Gewalt bei Protesten geht, sollten sie aber die Handbremse anziehen und Abstand nehmen, um die Ereignisse einzuordnen. Journalist*innen haben viel Spielraum, wie sie ihre Rolle verstehen.

Und eine große Verantwortung.

Ja, weil ein Großteil der Menschen nur über die Berichterstattung von Protesten erfährt. Die von Journalist*innen benutzten Deutungsrahmen bestimmen die öffentliche Debatte. Infolge der G20-Proteste wurde zum Beispiel der Begriff des Linksextremismus wieder hervorgeholt, obwohl vorher nicht nur in der wissenschaftlichen Debatte, sondern bis in das Familienministerium hinein klar war, dass der weder analytisch noch praktisch brauchbar ist.

Interview Adèle Cailleteau

„G20-Auswertung: Wie Medien den Blick auf Protest formen“: 18 Uhr, Asta Uni Hamburg, Raum S29

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