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heute in bremen„Ganz ehrlich: Wir werden depressiv“

Angelina Robledo

22, macht ihr Abitur an der Berufs­oberschule in Walle.

Interview Lotta Drügemöller

taz: Frau Robledo, wofür protestieren Sie heute auf dem Marktplatz?

Angelina Robledo: Es geht unter anderem darum, die neue Coronaverordnung zu verändern: Der neue Stand ist ja, dass es ab dem 1. März wieder eine Pflicht gibt, zum Unterricht in die Schule zukommen. Bisher kann man sich aussuchen, ob man von zu Hause aus teilnimmt.

Sie wollen, dass alles bleibt, wie es jetzt ist?

Nein, auf keinen Fall! Unser Ziel ist Bildungsgerechtigkeit: Wir wollen, dass alle Schüler, egal mit welcher Situation, die gleiche Chance auf Bildung bekommen. Und das coronakonform, auch von zu Hause aus. Online-Unterricht muss weiter ermöglicht werden, aber eben richtig.

Momentan läuft das nicht?

Bei einigen Lehrern klappt Online-Unterricht gut, bei anderen gar nicht. Ich habe einen Mathe­lehrer, der erst vor eineinhalb Wochen gelernt hat, wie man etwas hochlädt. Meine beste Freundin arbeitet im Distanzunterricht von zu Hause aus – sie weiß nicht mal richtig, welches Thema wir in Mathe gerade haben. Dann gibt es natürlich auch noch die Schülerseite: Nicht alle haben zu Hause guten Internetzugang. Und nicht alle haben die richtigen Geräte zum Arbeiten.

Dafür gibt es doch die iPads?

Auf denen ist aber zum Beispiel kein Word installiert. Und weil das ja ein Gerät von der Behörde ist, sperrt es ganz viele Zugänge zu Internetseiten. Mir ist es schon passiert, dass es mich dann nicht auf Word online gelassen hat. Es ist schon komisch, ein Arbeitsgerät ohne Schreibprogramm auszugeben.

Eine weitere Forderung ist die faire Bewertung der Mitarbeit. Wie wird das gehandhabt?

Als Ende Januar die Halbjahresnoten vergeben wurden, habe ich mich mit einer Lehrerin darüber unterhalten. Sie hat bestätigt, was ich befürchtet habe: Wir im Präsenzunterricht beteiligen uns an Diskussionen, uns kann man benoten. Die anderen sind im Nachteil: Die Lehrer haben keine Kriterien bekommen, wie sie die bewerten sollen. Ich finde das erschreckend.

Das klingt jetzt aber doch danach, dass die Präsenzpflicht besser ist als Homeschooling …

Unterricht in der Schule geht aber nicht coronakonform. Nur weil das Fenster offen ist, verschwindet Corona nicht. Abstand halten klingt gut – aber ich weiß nicht, ob die Behörde sich die Situation mal angeschaut hat. Wir können nicht alle 1,5 Meter voneinander entfernt sitzen. Was ist mit Asthmatikern? Was ist mit unseren Eltern und Großeltern? Mein Vater gehört zur Risikogruppe. Wie schlimm ist es bitte, dass ich darüber nachdenken muss, ob ich im Homeschooling schlechter lerne oder ihn vielleicht anstecke?

Wie ist es für die, die in die Schule gehen?

Kundgebung „Bildungsgerechtigkeit in Bremen - jetzt!“, im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages von einem Bündnis aus Schüler*innen, 12–14.30 Uhr, vor der Bürgerschaft

Ich bin im Präsenzunterricht. Die kleineren Gruppen dort machen vieles besser, aber wir merken, dass die Lehrer aufgerieben sind, weil sie gleichzeitig für die anderen zu Hause Material vorbereiten müssen. Im Unterricht wird nur noch Stoff reingedrückt. Weil bald Prüfungen sind, ist kaum Zeit, darüber auch zu sprechen.

Das klingt, als ob es an allen Enden brennt …

Ja, wir glauben nicht, dass sich mit der Kundgebung alles löst. Aber so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Jede Woche kommt irgend eine andere Verordnung. Ich hab schlimme Schlafstörungen, ich weine viel. Ganz ehrlich: Wir werden depressiv. Ich lese manchmal Beiträge, wo Erwachsene drunter kommentieren: Die kriegen eh das Abi gerade in den Arsch geschoben. Das macht mich total wütend.

Werden die Schü­le­r*in­nen denn gehört?

Die Gesamtschülervertretung hat Gespräche mit der Gesundheitssenatorin. Aber so wie ich es mitbekomme, ändert das nichts. Es versuchen sowohl Schüler als auch Eltern, Lehrer, und Erzieher, gerade zu Bogedan durchzukommen. Mein Eindruck ist: Sie macht komplett dicht. Es wird ignoriert, wie wir uns fühlen.

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