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heute in bremen„Vor uns sitzen weinende Kolleg*innen“

privat

Roman Fabian, 57, Betriebsratsvorsitzender am Klinikum Links der Weser, ist medizinisch-technischer Radiologie-Assistent.

Interview: Eiken Bruhn

taz: Herr Fabian, in Ihrem Aufruf zu der Kundgebung heute heißt es, „die Situation der Pflegenden in den Krankenhäusern und Altenheimen wird immer unerträglicher“. Gilt das nicht schon lange?

Roman Fabian: Ja, wir hatten schon vor Corona einen gravierenden Fachkräftemangel. Aber jetzt ist es dramatisch. Vor uns sitzen weinende Kolleg*innen, jeden Tag gehen Gefährdungsanzeigen ein, weil aus Personalnot die Standards nicht eingehalten werden können, die Unfälle und Gefährdungen verhindern sollen. Alleine die Vorschriften zur Händedesinfektion: Das schaffen die Mitarbeiter*innen gar nicht, weil sie wegen der Personalnot so schnell arbeiten müssen. Das ist kein Bremer Problem, sondern überall so. Und jetzt wandern noch mehr Leute ab als sonst oder müssen sich für lange Dauer krankschreiben lassen, weil die letzten Monate sie richtig kaputt gemacht haben. In den Kliniken und Altenheimen war ja nicht gerade Kurzarbeit und Homeoffice angesagt. Dazu kam die Angst, sich selbst, die Familie oder Patient*innen anzustecken.

Ich habe gehört, dass die Altenheime jetzt Pflegepersonal an die Kliniken verlieren, weil die Arbeitsbedingungen dort noch unerträglicher sind. Stimmt das?

Jein. Es wandern aus den Altenheimen gerade viele in die Leiharbeitsfirmen ab und werden dann von diesen an die Kliniken ausgeliehen. Das Problem ist dann, dass sie dort nicht nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt werden, sondern ganz regulär in der Krankenpflege. Dabei sehen die meisten ein Krankenhaus zum ersten Mal von innen. Das führt dazu, dass die Kolleg*innen in den Kliniken deren Arbeit kontrollieren müssen, damit keine Patient*innen gefährdet werden.

Was ist das Attraktive an Leiharbeit?

Sie bietet um 30 Prozent mehr Lohn und gute Arbeitsbedingungen. Dazu gehört vor allem, dass die Mitarbeiter*innen zu den Arbeitszeiten arbeiten können, zu denen sie wollen. Und sie werden nicht ständig angerufen, ob sie einspringen können. Das macht auf Dauer einen Wahnsinns-Druck, weil die Mitarbeiter*innen wissen, dass Patient*innen gefährdet werden, wenn zu wenig Personal da ist.

Sie fordern auch, wieder Personaluntergrenzen einzuführen, die wegen Corona ausgesetzt wurden. Aber wie soll das gehen, wenn einfach keine Leute da sind?

Kundgebung: „Mehr Personal und mehr Geld für die Beschäftigten in den Krankenhäusern und in der Altenpflege“, 14 Uhr, Haltestelle Klinikum Links der Weser

Sie sind ja da – nur sie arbeiten nicht in dem Beruf, in dem sie ausgebildet wurden, oder haben ihre Arbeitszeiten verkürzt, weil es so unerträglich wurde. Ich erwarte gerade auch von einer linken Gesundheitssenatorin, dass sie dafür sorgt, dass die Arbeitsbedingungen wieder so sind, dass die Leute in ihren Beruf zurückkehren. Dazu gehört eine Personalbemessung, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert.

Eine andere Forderung lautet „ausreichend Schutzausrüstung für alle“. Ich dachte, jetzt sei genug da?!

Ja, es ist mehr da als zu Beginn der Pandemie, als es zunächst nur einen einfachen Gesichtsschutz gab und die effektiveren FFP-Masken wochenlang getragen werden mussten. Aber die FFP-Masken gibt es derzeit auch nur für diejenigen, die im direkten Patient*innenenkontakt stehen und eine neue gibt es zwei Mal die Woche oder nach Kontamination. Dabei gelten eigentlich Richtlinien, nach denen im Pandemiefall alle Beschäftigten, auch die in der Verwaltung, diese Masken tragen sollen. Wir wollten mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung aushandeln, die genau festlegt, wann und wo wer welchen Schutz tragen muss, aber der weigert sich. Weil er davon ausgeht, im Fall einer zweiten Welle wieder zu wenig Ressourcen zu haben.

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