heute in bremen: „Märchen haben zeitlose Botschaften“
Interview Jasmin Johannsen
taz: Herr Knauf, was oder wer waren Landesflüchtige?
Diethelm Knauf: Das ist ein Begriff, mit dem die Bremer Stadtmusikanten von den Brüdern Grimm beschrieben wurden. Die vier Tiere mussten ihren Hof ja verlassen, weil sie zu alt waren, wurden also zu Landesflüchtigen. Das steht natürlich stellvertretend auch für viele Menschen, die von ihrem Wohnort weggehen, um neu anzufangen.
Das Märchen wurde Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals veröffentlicht. Ist Deutschland also schon länger ein Einwanderungsland?
Wanderungen bestimmten das Leben der Menschen – auch in Deutschland – über Jahrhunderte. Da gab es immer wieder Einwanderungswellen. Zum Beispiel durch die Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Deutschland geflohen sind. Es gibt allerdings Unterschiede zu klassischen Einwanderungsländern wie den USA. Ihr Selbstverständnis war immer das einer Nation von Einwander*innen. Das ist in Deutschland anders.
Was verbindet die Bremer Stadtmusikanten mit heutigen Migrant*innen?
Vortrag: „Etwas Besseres als den Tod ...“ von Diethelm Knauf, 11 Uhr, Haus der Wissenschaft
Sowohl die Märchenfiguren als auch die Migrant*innen verlassen ihre Heimat aufgrund von sogenannten Push- und Pull-Faktoren. Menschen flüchten vielleicht wegen Hungersnöten, Kriegen oder Verfolgungen. Das sind dann die Push-Faktoren. Das Versprechen auf ein besseres Leben in der Ferne könnte ein Pull-Faktor sein. Bei den Stadtmusikanten sieht es ähnlich aus. Um ihrem nahenden Tod zu entgehen, wollen sie nach Bremen. Das tun sie aber auch nur, weil sie gehört haben, dass sie dort ihren Lebensabend als Stadtmusikanten in Ruhe verbringen dürfen.
Kann man nicht betroffenen Menschen Fluchthintergründe anhand von Märchen näherbringen?
Viele Märchen haben zeitlose Botschaften. Sie müssen nur erst richtig entschlüsselt werden, aber dann kann man sie sehr gut vermitteln. Deswegen sind diese Geschichten auch so wichtig – und das nicht nur für Kinder.
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