heute in bremen: „Gravierende Folgen für Mutter und Kind“
Marie von Kuck, 46, lebt in Berlin und ist Theatertherapeutin und freie Hörfunk-Journalistin.
Interview Simone Schnase
taz: Frau von Kuck, von welcher Art der Gewalt handelt Ihr Hörfunk-Feature?
Marie von Kuck: Die Frauen haben mir von sehr unterschiedlichen Erfahrungen von Gewalt während der Entbindung berichtet. Von vorsätzlicher Täterhaltung kann man nicht unbedingt sprechen, eher vom Ausnutzen des Machtgefälles.
Um was geht es da beispielsweise?
Ein Arzt nannte das die„paternalistische Haltung“. Da sagt der Geburtshelfer dann einfach: So, Mädel, Beine breit, ich weiß, wie das jetzt geht. Da wird nicht paritätisch gearbeitet, sondern über die Frauen hinweg gegangen. In dem Feature werden regelrechte Vergewaltigungen geschildert, die in solchen Situationen begangen wurden.
Ist für viele Dinge, die unter der Geburt geschehen, auch die gebotene Eile verantwortlich?
Eher nicht. Wenn’s wirklich mal schnell gehen muss – was selten vorkommt – aber ihre Begleitung gut ist, empfinden Frauen das nicht als Gewalt. Viele Frauen kriegen aber nur zu hören: Was wollen Sie? Hauptsache ist doch, das Kind ist gesund. Damit wird alles gerechtfertigt. Jeder Übergriff. Jede Tortur. Und dann lesen die Frauen im Geburtsbericht: Das Kind war gar nicht in Gefahr.
Wird also zu wenig auf die Mutter geschaut?
Weder auf die Mutter noch aufs Kind. Man hat den Eindruck, die Apparate haben den Vorrang. Die Geburtshilfen in der westlichen Welt sind so. Die Folgen sind gravierend. Für Mutter und Kind.
Bremer Hörkino mit dem Radio-Feature "Weinen hilft dir jetzt auch nicht" - Gewalt in der Geburtshilfe (Deutschlandfunk / WDR 2017) von Marie von Kuck, 20 Uhr, swb-Kundencenter Sögestraße/Am Wall
Wie gehen die Frauen mit den Gewalterfahrungen um?
Die meisten kapseln das ab. Das Thema ist ein Tabu. Das Besondere an dem Feature ist der Tabubruch: Ich habe unglaublich viele Rückmeldungen von Frauen erhalten, die noch nie mit jemandem darüber gesprochen haben. Aber langsam wird dieses Tabu aufgebrochen.
Woran kann man das merken?
Seit 2013 wird am 25. November der „Roses Revolution Day“ begangen: An diesem Tag legen betroffene Frauen vor den entsprechenden Kliniken oder Geburtsstationen Rosen ab, manchmal auch mit einem Brief, in dem sie ihre Erfahrungen schildern. Im Jahr 2017 haben 24 Prozent aller deutschen Kliniken eine Rose bekommen. Die Bewegung wächst, das Tabu erodiert. Die Frauen haben heute ein anderes Selbstbewusstsein.
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