heute in bremen: „Antirassistische Kämpfe sind Kritik an Nation“
Interview Jean-Philipp Baeck
taz: Herr, Rodatz, inwiefern ist die Stadt Aushandlungsort für Fragen der Migration?
Mathias Rodatz: Die Stadt zeigt uns, dass die Realität der Migration unumkehrbar ist. In Frankfurt beispielsweise verfügen mittlerweile mehr als 80 Prozent der unter Sechsjährigen über eigene oder familiäre Migrationserfahrungen. Transnationale Mehrfachzugehörigkeiten und Kontakte sind die Normalität und wunderlicher Weise ist den FrankfurterInnen nie der Himmel auf den Kopf gefallen – im Gegenteil, es gefällt ihnen. Gleichzeitig gibt es natürlich auch in Städten nach wie vor (Alltags-)Rassismus und Diskriminierung, nicht zuletzt getragen durch Strukturen und Institutionen des Nationalstaats. Menschen, die gemeinsam das städtische Leben gestalten, sollten aber die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben.
Sie benutzen den Begriff des „Urban Citizenship“. Was ist darunter zu verstehen?
Man kann den Begriff mit „Stadtbürgerschaft“ übersetzen, aber das trifft nicht ganz die Bedeutung in der englischsprachigen Fachliteratur. Die für mich wichtigste Bedeutung beschreibt, wie Rechte, von denen Menschen durch das Staatsbürgerschaftsrecht oder durch Vorstellungen nationaler Zugehörigkeit ausgeschlossen werden, in der Stadt eingefordert oder praktisch angeeignet werden. Das kann durch migrantische und solidarische Bewegungen geschehen, es kann aber auch durch Stadtpolitik geschehen, wenn diese sich entschließt, gegenüber dem Nationalstaat für die Rechte all ihrer StadtbürgerInnen einzustehen.
Kann man sagen, der Begriff des „Urban Citizenship“ und das Verständnis der „Recht-auf-Stadt“-Bewegung verbindet ein positivistischer Bezug auf’ s Recht?
Vortrag: „Urban Citizenship? (Post)Migration und das Recht auf Stadt“, 18.30 Uhr, ÜberseeMuseum
Nein, denn die damit bezeichneten Kämpfe um Rechte in und auf die Stadt verhandeln gesellschaftliche Widersprüche, die über die Stadt und bürgerliches Recht hinausweisen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Stadtpolitik und -gesellschaft nicht konkret in die Pflicht genommen werden sollten.
Müssten die Probleme, die MigrantInnen haben, nicht zu einer Kritik an Konzepten von Nation und Staat führen, anstatt „Staatsbürgerschaft“ als Konzept umzudeuten?
Migrantische und antirassistische Kämpfe um Rechte in der Stadt sind praktische Kritik an Nation und Staat. Deshalb sind sie analytisch so spannend und politisch so wichtig. Und sich mit „Urban Citizenship“ zu beschäftigen bedeutet nicht „Staatsbürgerschaft“ als Konzept umzudeuten, sondern die Krise nationalstaatlicher Vergesellschaftung zu begreifen, in deren Zentrum die Staatsbürgerschaft steht.
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