heute in bremen: „Da wurde ich skeptisch“
Friedrich Buhlrich, 71, ehemaliger KFZ-Sachverständiger aus Gröpelingen tritt im Zuge der Ausstellung heute als Zeitzeuge auf.
taz: Herr Buhlrich, warum treten Sie als Zeitzeuge auf?
Friedrich Buhlrich: Drei meiner Geschwister wurden im Zuge der sogenannten Euthanasie-Programme in der NS-Zeit getötet. Ich erzähle diese Geschichte, damit Geschehnisse wie diese nicht in Vergessenheit geraten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Wiedergutmachung für die Opfer und deren Angehörigen. Die hat meiner Meinung nach bis heute nicht richtig stattgefunden.
Sie treten heute im Zuge der Ausstellung „Medizinverbrechen an Bremer Kindern im Nationalsozialismus“ auf. Wovon genau werden Sie berichten?
Mein Leben besteht aus zwei Geschichten. Mit 21 Jahren wurde mir erzählt, dass ich adoptiert sei. Irgendwann habe ich eine große Unruhe in mir verspürt, wissen zu wollen, wo ich herkomme und wer meine leiblichen Eltern sind. Ich habe mittels alter Fotoalben nach meinen Eltern gesucht.
Haben Sie Ihre Eltern gefunden?
Ich habe meine Mutter gefunden. Außerdem habe ich in einem alten Fotoalbum die Sterbeurkunden meiner drei Geschwister entdeckt. Alle sind in Pflege- und Heilanstalten untergekommen und sind kurze Zeit später gestorben. Als Todesursache wurden Lungenentzündungen genannt. Da wurde ich skeptisch und habe angefangen zu recherchieren.
Was haben Ihre Recherchen ergeben?
Mein Bruder Hans Wilhelm wurde in eine Pflegeanstalt gebracht, weil er seinen rechten Arm nicht richtig kontrollieren konnte. Als meine Schwestern bei einem Bombenangriff im Bunker nicht ruhig bleiben konnten, wurde dies dem Jugendamt gemeldet. Von der gleichen Jugendamtsangestellten, von der auch Hans Wilhelm seine Diagnose erhalten hatte, wurden auch meine Schwestern Margret und Erika als bösartig und nicht lebenswert eingestuft. Daraufhin wurden auch sie in ein Pflegeheim gebracht und kurze Zeit später getötet.
„Entwertet – ausgegrenzt – getötet – Medizinverbrechen an Bremer Kindern im Nationalsozialismus“, Zeitzeugengespräch, 16 Uhr, Stadtbibliothek West, Lindenhofstrasse 53
Haben sich die Nachforschungen als schwierig erwiesen?
Mein Bruder war zuerst in einer Einrichtung in Oldenburg und wurde dann mit 102 anderen Kindern nach Bayern verlegt. Noch immer existiert die Einrichtung als Krankenhaus und ich versuche seit mehreren Jahren vergeblich Kontakt zu dessen leitendem Direktor aufzunehmen. Das war bis jetzt vergeblich. Ich fordere seit Jahren auch von politischer Seite mehr Unterstützung. Es gibt da sehr wenig Entgegenkommen.
Interview: Paula Högermeyer
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