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heute in Bremen„Lagerbildung vorantreiben“

DISKUSSION Die Trumpisierung der USA und ihre Folgen für Europa beschäftigt den Linkstreff

Christoph Spehr

53, Sozialhistoriker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linksfraktion in der Bürgerschaft, 2008 bis 2015 Landesvorstandssprecher der Linkspartei.

taz: Herr Spehr, nach dem Ergebnis der letzten USA-Wahl war die Erschütterung groß. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Christoph Spehr: Ja.

Wie sieht denn die soziale Zusammensetzung der Trump-Wählerschaft aus?

Gar nicht so viel anders als die der Republikaner bei den letzten Wahlen. Grob gesagt: Männer, Weiße, „Heartland“-Bewohner wählen republikanisch, Junge, gut Ausgebildete, Minderheiten, Küstenbewohner wählen demokratisch. Die Leute, die jetzt Donald Trump gewählt haben, sind nicht alle arm oder Arbeiter oder abgehängt. Die sind genauso sozial heterogen wie die Wähler links der Mitte. Es polarisiert sich politisch, aber nicht entlang der sozialen Lage.

Trotzdem besteht erhöhter Erklärungsbedarf. Political Correctness soll schuld am Wahlsieg gewesen sein.

In den USA gibt es eine zunehmende Spaltung zwischen Menschen, deren Lebensstile sich grundsätzlich unterscheiden. Der Hass auf PC ist ein Code für die Ablehnung der Veränderungen. Das kann man aber nicht vermeiden.

Danach war es Big Data – ohne Facebook kein Trump. Wurde dieser Wahlkampf mit anderen Mitteln geführt als bei früheren Wahlen?

Ohne Big Data werden schon lange keine Wahlkampagnen mehr geführt in den USA. Die Methoden der Republikaner und der Demokraten unterscheiden sich allerdings. Dem Clinton-Lager ging es vor allem um die die Luftunterstützung für die Kampagne am Boden: Wo schalten wir Werbung, wann ist der optimale Zeitpunkt für Wahlwerbung und Kontakt. Das Trump-Lager hat vor allem auf Social Media und auf gezielte Postings für eng bestimmte Zielgruppen gesetzt. Es ist schon bemerkenswert, was man da machen kann.

Und die sozialen Gründe des Backlashs?

Das Entscheidende, Neue zur Zeit ist, dass im Lager rechts der Mitte die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Positionen und Kräften zunehmend akzeptiert wird. Außerdem verlaufen die Spaltungen heute anders: Leute in der new economy gegen die in der old economy. Leute, die nach generationsübergreifendem Aufstieg suchen – was für Leute mit Migrationshintergrund oder für gut Ausgebildete typisch ist – gegen Leute, die nach persönlichem Aufstieg suchen. Neue Familienformen, die mit anderen Rollen und mehreren Einkommen arbeiten, gegen alte Familienformen oder frustrierte Singles.

Für Europa stellt sich also die Frage: Was nun?

Bei der neuen Polarisierung in gesellschaftliche Lager verhält sich die Rechte disziplinierter, und darum gewinnt sie. Das fortschrittliche Lager ist sich einig in der Orientierung auf eine offene Gesellschaft und eine stärkere Rolle des Staates, bleibt aber gespalten in der Haltung zum Neoliberalismus – und lässt es daran scheitern.

Was folgt daraus?

Man muss die Lagerbildung vorantreiben. Sonst hat man keine Chance. Dass jetzt im Nachgang der US-Wahl schon wieder versucht wird, Gender gegen Klasse auszuspielen, heißt, dass man die Message nicht verstanden hat: Allein gewinnst du nicht gegen die Trumps.

interview: BMo

Der Trump-Effekt. Linkstreff, Friesenstraße 6, 19 Uhr

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