heute in Bremen: „Von Angst bestimmt“
Buchvorstellung Genozidforscher Mihran Dabag spricht über den Völkermord an den Armeniern
71, ist Leiter des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum.
taz: Herr Dabag, der Völkermord an den Armeniern ist 100 Jahre her. Wie haben Sie einen Zugang gefunden?
Mihran Dabag: Ich bin mit den Erzählungen groß geworden. Ich bin selbst Kind von Überlebenden des Völkermords. Ich brauchte keinen Zugang zu dem Thema, da ich selbst aus der Mitte dieser Erfahrung komme.
Wie wichtig ist die Anerkennung des Völkermordes?
Leider ist die Frage nach dem Völkermord an den Armeniern nach wie vor elementar mit dem Ringen um seine Anerkennung verknüpft, weil die Türkei systematisch und mit größtem Engagement eine Politik der Leugnung zur Staatsdoktrin erhebt. Über die Anerkennung durch andere Staaten kann ein geschützter Raum für die armenische Erinnerung geschaffen werden.
Haben Sie selbst Anfeindungen erlebt?
Meine Kindheit in der Türkei war nicht sehr angenehm. In Anatolien, wo die armenische Gemeinschaft sehr klein ist, war das Leben von Angst bestimmt. Als Kinder haben wir häufig Schläge bekommen. Wir mussten vorsichtig sein: Draußen hatte ich einen türkischen Namen, meinen armenischen Namen haben wir nur zu Hause benutzt.
Für Ihr Buch haben Sie Interviews mit Überlebenden geführt. Wie liefen die ab?
Ich würde sie eigentlich nicht als Interview im engeren Sinne bezeichnen, sondern vielmehr als ein Zuhören. Diese Aufnahmen wurden zwischen 1989 und 1993 im Rahmen eines Projektes der Universität Bochum aufgezeichnet. Die Sitzungen wurden mit der Aufforderung begonnen, die ganze Lebensgeschichte frei zu erzählen, ohne sich nur auf das Ereignis selbst zu konzentrieren. Erst im zweiten Teil wurden ergänzende Fragen gestellt. Das kürzeste Gespräch ging zwei Stunden, das längste elf. Insgesamt sind es fast 140 Zeugenaussagen.
Im Buch lassen Sie sieben Zeugen zu Wort kommen. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?
Wir wollten eine möglichst große Vielfalt abdecken. Dafür haben wir unterschiedliche Orte und Lebenserfahrungen berücksichtigt, ebenso wie die unterschiedlichen Perspektiven von Frauen und Männern. Die anderen Zeugenaussagen werden wir aber auch noch veröffentlichen.
Es ist Ihnen sehr wichtig.
Diese Überlebenden sind durch die Leugnung immer unberücksichtigt geblieben. Durch das Buch und die Lesungen möchte ich eine Zuhörerschaft für ihre Erfahrungen schaffen. Für mich ist das Buch meine wichtigste Arbeit, was das Armenische betrifft.
Interview: Sebastian Krüger
19 Uhr, Villa Ichon
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